Samstag, 28. Januar 2012

Aber immer mit Niveau

„Der Hoden des Aals“, „Lass ma‘ Koks erforschen“, „Ödipuskomplex“, das sind nur einige Titel unseres Sammelsuriums an musikalisch-lyrischen Ergüssen, die unseren überdurchschnittlich ausgeprägten, fantasievollen Hirnen entsprangen, und sich nun auf den Setlisten unserer abendfüllenden Auftritte befinden.

Ich bin Mitglied einer Punkband, Schlagzeuger, eigentlich der Part einer Band, den man für gewöhnlich am wenigsten sieht, nicht aber bei uns, wir sind präsent. Komplett. Nicht zuletzt erreichen wir diese strukturelle Außergewöhnlichkeit durch unsere zahlreichen und vor allem kreativ zum Höchstmaß ausgefeilten Ansagen und Aktionen, durch die wir unser Publikum ständig mit in die Show einbeziehen. Nicht selten zum Leid unseres Auditoriums.
So ist es nicht verwunderlich, dass nicht ausschließlich unsere äußerst attraktiven und vielzählig vorhandenen Groupies den Geschmack unserer Körperflüssigkeiten kennen. Eine Punkband sind wir also, die sich noch ernst nimmt. Aber modern und so. Googlet man heutzutage nach dem Begriff Punkband, so erscheint nicht selten die Frage auf dem Bildschirm: „was gibt es noch für punk bands auser greenday?“ [Anm. 655321: „Diese tatsächlich 1:1 kopierte und vor Rechtschreibung nur so übergebende Frage macht mich wirklich traurig…“]

Nicht mit uns, hier wird noch rebelliert, herumgesockst und „lebe schnell, stirb jung“ dem Hörerohr ans Herz gelegt. Dem geschulten Publikum fällt auf, dass unsere Tracks nicht selten mit dem Namen unserer Band harmonieren. „Sigmunds Freunde“ nennen wir uns, was wir nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken haben, dass unser Bandkeller, der sich als Garage tarnt, der gar wohlhabenden Familie unseres Bassisten Sigmund „Scholle“ Scholz gehört, der besagten Proberaum der Band zur Verfügung stellen konnte, nachdem er damals seine Eltern mit dem Argument überzeugte, dass er entweder durch eine seriöse Punkband zu Ruhm und Reichtum kommen möchte, oder als unseriöser Punk zu nichts. Da Scholles Eltern beiderseits Hochschulen besuchten, war ein Kompromiss schnell gefunden.

Aber auch auf Scholle selbst hatte der Bildungsweg seiner Organspender keinen geringen Einfluss. So beschäftigte er sich früh mit Dingen, wie beispielsweise den Versuch, in diesem Land nicht durch Medien zu verdummen, und mit Philosophie. Dass er dabei irgendwann bei Sigmund Freud hängen geblieben ist, ist offensichtlicher Natur und bildete die Grundlage für den gar humorösen Kalauer, den wir unseren Bandnamen nennen.

Damit man es nicht falsch versteht; nicht nur Scholle ist gebildeter, als unser Ruf als Punkband anmuten mag. Die 4 Köpfe unserer Kapelle, also Scholle, Bassist, Frieda „Fuck“ Pitz, ihres Zeichens Gitarristin, Erik „Herr Meier“ Mondschein, Virtuose am Mikrofon und selbstverständlich ich, Schlagzeuger und oft Songwriter, sind allesamt auf den höchsten Etagen des deutschen Bildungsstandards geschult, weshalb wir oft gefragt werden, warum wir uns eigentlich für die Formation Punkband und nicht etwa Autorenkollegium entschieden haben. „Weils Lauter ist, weil Musik mehr Leute erreicht und überhaupt: Habt ihr ‘ne Ahnung wie wenige Groupies Autoren eigentlich abbekommen?“ lautet dann oft die gewählt betonte Antwort.

Heute Abend haben wir einen Aufritt in einem namhaften Club in einer nicht näher definierten Landeshauptstadt Thüringens, der sich der Musik des Ohrgourmets Punker verschrieben hat. Man kennt sogar schon den Betreiber des Etablissements, sein Name ist Christian, aber vor allem sehr unwichtig, und auch Gage und sonstige Boni wie zum Beispiel Freigetränke für die Band sind bereits abgesprochen und im ausreichenden Maße genehmigt. Es verspricht also ein sowohl qualitativ als auch quantitativ hochwertiger Abend zu werden.

Eine Band unseresgleichen verzichtet selbstverständlich auf Luxus wie einen eigenen Chauffeur, und somit steuert Fuck unseren Tourbus, einen rostenden, alten, aber immerhin mit diversen Spraydosen der Farbe „Pink Blood“ bemalten, ehemals schwarzen Skoda Felicia Baujahr ’97, gen Parkplatz vor dem Ort unseres Verbrechens an das politische System. Auf unserer Fahrt gehen wir natürlich noch einmal all unsere Songs, welche wir heute zum Besten geben werden, durch, natürlich ohne Instrumente, außer, dass ich fleißig auf der Airbagklappe hämmere, Schlagzeuger aus Überzeugung eben, es nützt ja nichts.

Als wir die angestrebte Stadt erreichen, fallen uns die gelegentlich platzierten Gelb-Schwarzen Plakate auf, die durch den Schriftzug „SIGMUNDS FREUNDE, 18. 02. 2012 IM RATTENLOCH, ABENDKASSE 15€“ einem Gemälde Da Vincis gleichkommen. Wir bekommen langsam Appetit auf den Abend und vor allem auf die ersten Alkoholika, die uns in die richtige geistige Ebene erheben, um den Gig so denkwürdig wie nur möglich zu gestalten, also wird Scholle dazu angehalten, das Sixpack zwischen sich und Herrn Meier auf nur noch 2 volle Flaschen zu dezimieren, indem er seinen Charakter durch brüderliches Teilen prophylaktisch den späteren Einlass in die Pforte des Herren zu gewährleisten.

Solidarisch und (a)sozial wie es unser Image als genretypische Band verspricht, wird Fuck natürlich nicht außen vor gelassen und darf fleißig mittrinken, ich halte ihr natürlich, Kavalier der ich bin, die Flasche, sie muss sich schließlich aufs Fahren konzentrieren. Jawohl, was Normen und Werte angeht befinden wir uns auf dem allerhöchsten Niveau.

Einige Straßen und ausschließlich rot leuchtende Ampeln später erreichen wir unser Ziel, selbstverständlich sind wir zu spät vor Ort. Das gehört sich so in unseren Kreisen. Der Clubbesitzer mit seinem unwichtigen Namen empfängt uns freundlich schreiend, purpurrot ist er im Gesicht, was uns denn einfiele ihn warten zu lassen, die Vorband spiele schon, er hat gedacht, er müsse den Hauptact absagen. Fuck wirft dem guten eine der 2 übrig gebliebenen Flaschen des ehemaligen Sixpacks an die Brust, geht zum Eingang und sagt noch ziemlich lässig „Chill ma!“
Über diesen Fauxpas des allgemeinen Sprachgebrauches reden wir noch, junges Frollein…

Wir folgen ihr in den Laden und sehen auf der Bühne ein paar bekannte Gesichter, nämlich die unserer Vorband „Edgar Allans Po“, zweifelsohne Veteranen in spe dieser Musikrichtung. Man kennt sich bereits von diversen Gigs und hin und wieder trifft man sich auch zum privaten… Gedankenaustausch. Nette Jungs.

Nachdem die Publikumsanwärmer ihre Setlist durchgespielt haben wird abgeklatscht. Wir betreten die Bühne und die Menge jubelt und grölt. Auch ein paar Becher kommen nach vorn geflogen, sicherlich möchten die Schützen nur, dass wir unsere Kehlen an Getränken laben, die sie erworben haben. Was für treue und selbstlose Fans wir doch haben.

Es wird, wie man es von uns gewohnt ist, nicht lang gefackelt. Fuck spielt die ersten Riffs auf ihrer Gitarre und ich verprügele das Schlagzeug, als hätte es meine Mutter beleidigt. Herr Meier verlangt einen Moshpit nie dagewesenen Ausmaßes und Scholle zupft den Bass, als gäbe es kein Morgen.

Auch unser Gassenhauer „Ödipuskomplex“ wird heute gespielt, dessen tiefgehende Botschaft ich meinem Publikum selbstverständlich nicht vorenthalten möchte:


„Ach, kleine Elektra, was lief nur verkehrt,
von der Mutter verstoßen, vom Vater begehrt
und trotzdem hast du den Erzeuger verehrt
der so rücksichtlos mit der Tochter verfährt.

Nun, kleines Mädchen, es ist wie verhext,
Grund genug ihn zu hassen, aber Ödipuskomplex.
Und egal was er macht, ganz egal was er tut,
Es macht ja der Papa, und was Papa macht ist gut.

Doch irgendwann junge Dame, dann wirst du versteh’n,
Mama hat dich nicht verstoßen, Mama hatte zu geh’n,
und weil du dich weigertest von ihm zu lassen,
hast du begonnen Frau Mama zu hassen.“


Unser Auftritt endet mit Stagedives von Scholle und Fuck, gewohnheitsbedingt ist das oben bleiben für den weiblichen Part unserer beiden Stagediver dabei wahrscheinlicher gewährleistet, aber heute funktioniert es bei beiden. Nicht selten kam es vor, dass Scholle nach einem Konzert die Aftershowparty gegen einen Besuch des nächstgelegenen Krankenhauses eintauschen musste.

Wir sind die high Society des Bordsteins, wir sind der lebende Beweis dafür, dass das Kombinieren von Bildung und sozialer Abgefucktheit nicht unbedingt in Erfolglosigkeit resultieren muss.
Niveaulos? Bitte. Aber immer mit Niveau.



© Artwork by 'JuanOsborne' (http://juanosborne.deviantart.com/)

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