Samstag, 24. Dezember 2011

Heiligmorgen mit Harvey
oder:
Die kleinen Dinge II

Wir beide sind die wahren Romantiker unserer Zeit, das Wissen darüber teilen wir aber nicht mit jedem Dahergelaufenen. Undenkbar wie hoch das weibliche Interesse an uns wäre, würden wir unserem Sinn für Romantik permanent zeigen. Nein, wir genießen unser bescheidenes Leben und die selbstverständlich von uns hundertprozentig freiwillig gewählte Zurückhaltung unserer andersgeschlechtlichen Mitmenschen.

Wir wissen die Feste immer noch zu feiern, wie sie fallen, denn im Fallen kennen wir uns besonders aus. Und es ist Weihnachten, kalendarisch handelt es sich zwar gerade einmal um die ersten Stunden des 24. Dezembers, Heiligmorgen, wenn man so will, aber das nimmt uns nicht den Anlass, einmal mehr das Lokal unseres Vertrauens mit einem Besuch zu beehren.
Da unser Budget allerdings unter unseren spendablen Seelen zu dieser Festzeit gelitten hat, wird es kein exzessiver Abend/Morgen werden, wir gehen es ruhig an, auf die Frage der Bardame, was es denn geben dürfte, fällt dann schon mal vornehm und dezent der Satz „Bitte einfach das billigste Bier aus ihrem gehobenem Sortiment“.

Viel faszinierender als das Sammelsurium der auf der Getränkekarte befindlichen Namen der multikulturellen Alkoholika finden wir heute allerdings die gar besinnliche Weihnachtsdekoration des Lokals der Arbeiterklasse. Als kurzer Einwurf an dieser Stelle sei schuldbewusst angemerkt, dass wir zwar durchaus zur Arbeiterklasse gehören, es mit dem dazugehörigen Enthusiasmus aber nicht immer so genau nehmen. Man muss schließlich noch einige Jahre aushalten, wenn man noch so jung und schön ist wie wir, da ist es wichtig ausreichend Schlaf und Schonung zu beachten. Nicht auszudenken, würden wir unsere potentiell athletischen Körper jetzt schon irreparabel schinden.

Zurück zur Bühnenausstattung dieser Barkulisse, welche sich als kleiner Kranz um einen Flaschenhals, in welchem sich wiederum rote Stielkerzen befinden, darstellt. Da wurde an Authentizität nicht gespart. Spitze Überreste von Nadelbäumen machen den Großteil der kleinen Kränze aus, eine kleine Christbaumkugel hängt auch noch daran, und da kommt in uns beiden die Ideenschmiede ins Glühen.
Wie schön waren die Zeiten, bevor sich Spiele mit Fachbegriffen wie „Headshot“, „Frag“ oder „Fatality“ abspielten, also tun wir abermals was getan werden muss, wir nehmen unsere Pflicht als die um Untergrund agierenden Retter der Welt war und erfinden ein kleines Gesellschaftsspiel.

Wir arbeiten mit den im Lokal gegebenen Ressourcen, welche an dieser Stelle kurz aufgelistet werden sollen. Wir verfügen über diverse freundlich und vor allem unfreiwillig vom Etablissement gesponserte Packungen Streichhölzer, durch einen kleinen Versuch als äußerst brennbar befundene Nadelbaumerzeugnisse und der uns gegebenen Kerze in der Flasche.

Das Regelwerk ist schnell erstellt. Es gilt, nacheinander ein Streichholz oder wahlweise ein Stück Nadelbaum auf die Kerze zu legen, ohne, dass der Docht erlischt beziehungsweise bereits dem Wachs auferlegtes Heizgut zu Boden beziehungsweise Tisch fällt. Füchse der Disziplin Gesellschaftsspiel erkennen zweifellos, dass es sich hierbei um einen Hybrid aus den Spielen Jenga, Risiko und Mikado handelt, eine Prise Pyromanie ist bei genauerer Betrachtung des Regelwerkes durch aufmerksame Zuschauer und Mitspieler aber auch festzustellen.

Todesmutig beginnen wir mit dem ersten Prototypentest unseres wahnwitzigen Spieles für die ganze Familie und legen die ersten Streichhölzer und Nadeln auf die Kerze, welche besinnlich knistert und zur Freude des Tages glücklich zu flackern scheint. So viel materielle Zustimmung kann kein Zufall sein, also nehmen wir unsere Arbeit noch ernster und setzen das Testen fort.

Bald stellt sich heraus, dass wir in diesem noch so jungen Spiel Naturtalente sein müssen, ja, nur so kann es sein, denn nichts fällt und auch die Flamme der Kerze erlebt die dynamischste Zeit ihres Lebens. Da wir bei unserem Debutversuch aber an Aufmerksamkeit nicht zu sparen gedenken, fällt unschwer auf, dass sich die Lebenszeit des sehr vergänglichen Beleuchtungsverschleißgegenstandes drastisch verringert, ja, dass sie gar rasant ihrem Ableben entgegen brennt, dabei ist bisher kein Gewinner gefunden, und wir sind die Elite der Sportsgeistbesitzer und dürfen nicht zulassen, dass aus diesem Spiel kein eindeutiger Pokalbesitzer hervorgeht.

Da wird gezittert, angespannte Gesichter starren auf die Kerze und noch angespanntere Hände konzentrieren sich auf das fehlerfreie Einhalten des Regelwerkes. Wenige Sekunden, bis die Kerze ihr Lebensende erreicht hat und langsam macht Panik die Runde. Ein bisschen könnte man die Situation mit dem Ende einer Runde Schach vergleichen, bei welcher beide Spieler nur noch über einen König verfügen. Ein kluger Kopf gab einst den klugen Satz „Kings can't checkmate each other“ von sich, was auf uns nicht sonderlich beruhigend wirkt, da wir zweifellos die Könige dieser Nacht darstellen, bei dem schier selbstlosen und lebensbedrohlichen Versuch, der Menschheit ein neues Gesellschaftsspiel zu erdenken.

Doch plötzlich geschieht das ernste Wunder des mystischen Tages, nicht die heiligen drei Könige mit Myrrhe, Weihrauch und Gold kommen des Weges, nein, viel nötiger als diesen Plunder haben wir in diesem Moment neue Spielausrüstung, und da naht womöglich die Rettung, an die schon niemand mehr zu glauben wagte. Die Bardame kommt an unseren Tisch und sieht unsere Projektarbeit. Nachdem sie fragt, um was es sich dabei wohl handelt und wir es ihr ausführlich erklären, allerdings um Zurückhaltung eventueller Patentanmeldungen bitten, steht sie unserem Prototypen plötzlich sehr skeptisch gegenüber, schaut uns zwei Märtyrer noch skeptischer in die Gesichter und fragt, eindeutig mit Zweifel gegenüber unserer Zurechnungsfähigkeit in der Stimme, ob sie uns noch etwas bringen darf.
Ich ergreife meines Amtes waltend das Wort, und bitte die junge Maid freundlich um unseren Herzenswunsch. „Eine neue Kerze wäre nicht schlecht!“

Die Geschichte der Welt ist, wie wir alle wissen, auch von Verlusten der Menschen geprägt, die nur Gutes im Sinn hatten, und so sei ein kleiner Sprung unternommen, und ob des zwischenzeitlichen Geschehens lediglich erwähnt, dass die Dame und, wie sich herausstellte, auch der dazu geholte Besitzer des Lokales nicht von unserer Idee überzeugt waren, und unser Wunsch nach einer weiteren Kerze nicht erfüllt wurde. Gar der Örtlichkeiten verwies man uns, selbstverständlich erst, nachdem man uns für unsere Getränke zahlen lies. Dass auf der späteren Wikipediaseite unseres Spieles definitiv nicht mehr erwähnt wird, in welchem Lokal die Grundidee unseres Spiels unserer Weisheit entsprang steht nunmehr natürlich außer Frage.


655321 wünscht all seinen Lesern eine besinnliche Weihnachtszeit.



Donnerstag, 22. Dezember 2011

Fest der Nächstenliebe

Dezember, Vorweihnachtszeit, und auch ich möchte Menschen beschenken, die es verdienen, deswegen befinde ich mich in diesem 3-Etagen-Kommerzgebäude und suche nach etwas Besonderem für jemand Besonderen.

Die Länge der Schlangen vor den Kassen der Geschäfte lassen jede Netzpython (Python reticulatus) vor Scham im Boden versinken, Weihnachten muss sich dieses Jahr vollkommen unerwartet und kurzfristig angemeldet haben. Da wird hier über zu wenig Kassiererinnen geschimpft und dort sieht man total frustrierte Gesichter, die am liebsten ihre Taschen fallen lassen wollen und bebend vor Wut das Geschäft im Sprint verlassen und später in die Luft jagen wollen würden. Machen sie aber nicht, man hat ja Kinder, denen man anerzogen hat, dass Weihnachten Geschenkezeit ist, ein bisschen wie Geburtstag, nur ohne dem Datum auf dem späteren Personalausweis.

Ich suche eine Weile nach etwas passendem, bei dem die beschenkte Person weiß, dass es nur von mir sein kann, ja, ich mag lieber durchdachte Geschenke als Schnickschnack, so was bleibt doch viel besser und vor allem schöner in Erinnerung. Plötzlich sticht da etwas in meine Augen, es ist perfekt, es ist brauchbar, es ist sogar ein bisschen witzig und vor allem passt es zu mir und zum Beschenkten, abgefahren. Muss ich haben. Muss ich verschenken. Großartig.

Ich befinde mich kurz darauf am Ende oder am Anfang der Schlange –Gott weiß, ob die Kassen nun am Kopf oder Schwanzende sind- , und wieder höre ich das Schimpfen und Echauffieren über das Warten, über den Weihnachtsstress, über einfach alles, und da bemerke ich, dass sich einige Muskeln in meinem Gesicht anspannen, ich grinse. Ich grinse sogar richtig breit, und als die übergewichtige Dame hinter mir nervös mit ihren zu kleinen Füßen herumwackelt, weil sie wohl auch nicht gerne wartet, da tritt sie mich aus Versehen leicht in an meinen Eigenen Füßen und ich drehe mich um. „Na, na, na!“ sage ich, immer noch breit strahlend und sie brummt ein „‘Tschuldigung“ daher, Humor liegt ihr ferner als Korea die Demokratie, aber das stört nicht, ich bin gut drauf, ich kann nicht mal genau sagen warum, vielleicht, weil ich Urlaub und vor allem viel Zeit für meinen Einkauf habe, vielleicht aber auch, weil ich wohl der Einzige in dieser Schlange bin, der nicht kauft, weil er glaubt es zu müssen, sondern weil ich einfach sehr glücklich bin, wenn ich der bald beschenkten Person eine Freude machen kann. Genau genommen freue ich mich schon jetzt wie ein kleines Kind, dass jemand sich über etwas von mir freuen wird.
Manchmal bin ich Gutmensch.

Nach ein paar Minuten erreiche ich die Kasse und sage der Dame hinterm Tresen, dass sie mir etwas leid tut, wegen dem ganzen Stress, den sie hat, weil sich andere welchen machen. Außerdem könne sie sich bei mir gerne etwas Zeit lassen, ich habe genug davon, sage ich noch. Sie grinst mich an, wirkt etwas froh darüber, so viel Vernunft von einem Weihnachtszeitkunden zu hören, der dazu auch noch so jung ist wie ich, wo doch die Jugend, die böse, schlimme Jugend, als so unvernünftig gilt.
Ich zahle anständig, selbstverständlich mit Karte, das verschafft der netten Dame noch ein paar wertvolle Ruhesekunden, wünsche dann schöne Feiertage und verabschiede mich, während ich ihr noch das wohl letzte Kundengrinsen des Tages schenke.

Auf dem Gang zwischen den Geschäften zur Linken und zur Rechten läuft ein Mann in Rot herum, er trägt eine Art Mantel, einen auffällig künstlichen Wattebart, einen schwarzen Gürtel, schwarze Stiefel, eine rote Zipfelmütze und vor allem einen ockerfarbenen Sack über der Schulter.
Der Mann visiert die schreienden Kinder an, die ihre Eltern durch die Geschäfte ziehen wollen und ihre armen Schutzbefohlenen mit Sätzen wie „Guck mal, guck mal Mutti, die Softgun, die wollte ich schon immer haben“ oder „Oh, Mutti, Mutti, da drüben, das BMX, das wollte ich schon haben, bevor ich die Softgun haben wollte“ malträtieren. „Möchtest du nicht viel lieber das tolle Feuerwehrauto haben, oder was Tolles von Lego?“ – „Mutti, ich bin 9!“.
Ich habe Kinder noch nie so wirklich gemocht.

Der Mann in Rot sucht sich aber auch noch viel jüngere Menschexemplare aus, die dann schreiend vor ihm wegrennen, meistens Richtung Vater, hinter welchem sie sich dann verstecken und böse auf den armen Kerl zeigen, der doch nur Gutes beabsichtigt.
„Hast du etwa Angst vor mir?“ fragt der Falschbärtige, worauf das Kind wild mit dem Kopf nickt. Damit ist der Punkt erreicht, an dem ich mich dazwischen entscheiden muss, ob ich die Undankbarkeit von Kindern jetzt zum Kotzen finde, da sie sich einen Dreck für den freundlichen Mann, ganz besonders aber für die Geschenke interessieren, die er ihnen angeblich bringt, oder ob ich das alles einfach schnell wieder aus meinem Kopf lösche und die Dummheit des Kindes auf seinen geringen Erfahrungsschatz und sein geringes Alter schiebe.
Letzteres, es ist ja Weihnachtszeit, und so...

Dieser Vorgang wiederholt sich noch ein paar Mal und Nikolaus, Knecht Ruprecht, Hans Muff, Schmutzli oder wie auch immer ihn der Volksmund gerade nennen möchte wirkt sichtlich enttäuscht von der allgemeinen kindlichen Angst und Undankbarkeit, der arme Kerl möchte doch nur das, was seinen Jutesack so schwer macht an die Bälger weitergeben und damit sein Kreuz entlasten.
„Wenn ich mal sterbe, dann hoffentlich als Held“ habe ich als Kind einmal gesagt, das hat sich meine Mutter über viele Jahre gemerkt und mir irgendwann einmal erzählt, und zu meinem Wort stand ich schon immer, also muss ich tun, was ein Mann wie ich tun muss. Ich gehe zu dem Kerl, dem böse Zungen anhängen, er verdanke seinem Outfit einem Softdrinkhersteller, und halte meine Hand zum high five bereit. „Grüß dich, Santa!“ und schon habe ich den Weihnachtsmann zum Lächeln gebracht. Irgendwie ironisch. Der Kerl ist mir derart dankbar, dass er selbst mir realitätsaufgeklärten Knaben eines seiner Geschenke übergibt, „Netter Kerl“ denke ich noch, während ich mich freundlich bedanke und dem Herrn einen schönen Urlaub nach den Feiertagen wünsche.

Als ich Zuhause ankomme packt mich dann die Neugier darüber, was sich wohl in dem kleinen Päckchen verbirgt. Die Verpackung ist für einen derartigen Massengeschenksack unerwartet aufwendig gestaltet, ordentlich gefaltet und schön verziert, ist mir vorhin, als ich das Geschenk bekam gar nicht aufgefallen. Eine Schande, dass ich diese Verpackung aufreißen muss, aber ein Mann muss tun, was… Und so weiter. Als ich diesen tragischen Akt des Altpapiererzeugens hinter mich gebracht habe finde ich darin eine Tafel Schokolade der einzigen Sorte, die ich mag, die mit den ganzen Nüssen, eine Blu-ray einer Staffel meiner Lieblingsserie und einem A5-Umschlag.
„Strange, äußerst strange“ denke ich, öffne aber den Umschlag, vielleicht finde ich darin Aufklärung.

„Vielen Dank für ein Lächeln und einen angenehmen Moment, hoffe dass ich mich angemessen revanchieren konnte, bis zum nächsten Mal - Santa“.


Mittwoch, 7. Dezember 2011

Und du sagst ich sei nichts Besseres

Als ich noch ein Kind war und diese Schule besuchte, die junge Menschen noch allgemein bildete, da gab es diesen Jungen, diesen Jungen gab es da und sehr viele andere Jungen. Zu seinem Unglück mochten die vielen Jungen den einen armer Kerl nicht und den Gesetzen der Hackordnung zufolge war es ihm vergönnt, eine angenehme Schulzeit genießen zu dürfen. Die traurige Situation des Knaben machte mich früh darauf aufmerksam, dass ich etwas besitzen musste, was die anderen nicht zu kennen schienen: Empathie. Und so erschien es als logisch, dass ich den armen tropf nicht alleine der auf ihn gerichteten Schikane ausgesetzt lassen kann, sondern mich auf seine Seite schlagen musste, denn geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid, und dass ich meine Gunst bei den anderen verlieren würde stand außer Frage. Dummerweise musste ich feststellen, dass das Prinzip des geteilten Leides in dieser Situation nicht funktioniert, da die Grausamkeit von Kindern gerne ein einzelnes Individuum anvisiert. So war die gesammelte Entschuldigung schnell bei dem nun glücklichen weil akzeptieren Burschen eingetroffen und ich war plötzlich sehr alleine.
Der Mangel an anderer Leute Empathie blieb einige weitere Jahre bestehen.
Und du sagst, ich sei nichts Besseres.

Wo ich gerade bei Empathie bin; Empathie ist etwas, dass sich nicht jeder an- aber niemand abtrainieren kann. Da saß vor einigen Tagen dieser Typ auf der Straße, nicht allein sondern wärmeteilend an seinem Hund. Der Hund hatte sicherlich schon gepflegtere Zeiten erlebt, muss sich den optischen Trend aber an seinem Herrchen abgeguckt haben, welcher ein Leistungssportler in dieser Disziplin sein musste. Dieser Mann schien außen den Fetzen an seinem Körper und dem Hund an seiner Seite nichts zu besitzen, und selbst Dinge, die zu seinem Körper gehören sollten, glänzten durch ihre Abwesenheit, und hierbei sei nicht nur von Zähnen gesprochen. Das brachte mich zum Nachdenken, mich, demjenigen, der sein leichtes Hungergefühl in der nächsten Filiale der goldenen-Bögen-Gruppe zu stillen gedachte. Plötzlich hatte ich gar keinen Hunger mehr, eher war mir äußerst unwohl, und so nahm ich den roten Schein, welchen ich auszugeben plante und gab dem armen Armen ein kleines Stück Papier, welches er gegen ein kleines Stück Leben eintauschen könne.
Errechnet man den Anteil meines übergebenen Budgets prozentual gesehen von meinem Gesamtkapital, so ist es durchaus möglich, dass ich gerade mehr von meinem Besitz für Menschen gegeben habe, die nichts besitzen, als es die meisten reichen Menschen in ihrem Leben tun.
Und du sagst, ich sei nichts Besseres.

Und dann gibt es da diese Menschen, die etwas darstellen wollen. Etwas darzustellen empfand ich schon immer als sehr wichtig, vor allem wenn es darum geht, das eigene Individuum darzustellen. Die Menschen, welche ich hier erwähnen möchte liegt aber nichts ferner, als sich selbst und ihre Leistungen darzustellen. Sie suchen sich etwas, das zu hinterfragen die wenigsten willens sind, und ergötzen sich daran, dass sie das Geld haben, sich in dieser Lüge die möglichst am stärksten strahlende Maskerade anzulegen. Fragt man sie, was sie denn darstellen, keiner sagt sich selbst, sie fangen an Worte vor sich herzustammeln, weil sie diese Frage all ihre Synapsen zur Staustufe rot bringen.
Und du sagst, ich sei nichts Besseres.

Und, fast hätte ich’s vergessen, da wärst ja auch noch du. Du, welche einmal ihr Herz an mich verlieh, während ich ihr das meine schenkte. Und ich dachte etwas Besseres als das sein zu müssen, was du erlebtest, also liebte ich beispiellos, grenzenlose Treue stand außer Frage, alles was ich besaß sollte auch dein sein, und das hast du gerne akzeptiert, solang es nur in eine Richtung galt. Und ich wollte das sein, was die Mehrheit der Frauen als entweder nonexistent oder homosexuell bezeichnet: Ein netter Mann. Dass Freundlichkeit ein Fehler sein kann sollte ich in den darauffolgenden Monaten immer deutlicher erfahren, denn alles was du meiner Liebe entgegenzubringen bereit warst, war, dass es dich immer mehr nervte, dass ich nicht war, wie es andere Männer sind. Dass du diejenige warst, die diesen Zustand am Ende nicht mehr auszuhalten bereit war, verleiht dem ganzen noch einen weiteren Schuss Ironie.

Und immer noch sagst du, ich sei nichts Besseres.

Sonntag, 4. Dezember 2011

Die kleinen Dinge

Es ist eine verhältnismäßig warme Nacht im Dezember als Harvey und ich beschließen, dass solche Wunder der Natur nicht allein zu Hause genossen werden sollten, sondern zumindest ein kleines Kollektiv solch ein Ereignis zu würdigen haben müsse.

Ich fahre also weniger später in Harveys Heimatstadt, unweit meiner Dorfidylle entfernt, und wir prallen wenig später an seinem Lieblingstreffpunkt aufeinander, seine Wohnung. Das ist besonders okay für mich, weil Harveys Wohnung eine Willkommenheit ausstrahlt, die ihresgleichen sucht, was nicht zuletzt daran liegt, dass sie zumeist eine Ordnung ausstrahlt, die sonst nur die Veteranen unter den Asylwohnungen aus ihren schlimmsten Zeiten noch zu berichten wissen. Allerdings ist das Arsenal an Spirituosen und anderen bewusstseinserweiternden Alkoholika immer prall gefüllt und gleicht, wir bleiben bei Militärbegriffen, einer hervorragend ausgerüsteten Waffenkammer.

Besonders okay ist der Treffpunkt aber auch für Harvey, da es genau der Entfernung entspricht, die er gerne maximal zurücklegt, um einen Abend wie diesen zu huldigen, Harvey war schon immer ein großer Fan der Natur.

Wir fackeln nicht lange, der Fleiß ist uns beiden kilometerweit entfernt anzusehen, und beginnen zügig mit der Respektsbekundung, indem wir eifrig einige der edlen Tropfen zum Ehre gebürtigen Aussprechen eines kurzerhand erdachten tiefgründigen und vielleicht auch etwas sentimentalen Toastes kurz emporheben und anschließend zweckkonform unsere Lippen benetzen lassen.

Nach einigen Gläsern, und wir haben bereits bewiesen, dass unsere Trinksprüche aufrichtig waren, was langsam aber sicher auch an unserer Mimik und der Gesprächslautstärke zu bemerken ist, entfällt Harveys Mund der Wunsch, doch lieber die Lokalität gegen eine -der Feierlichkeit angemessenere- einzutauschen, und da ich unsere langjährige Freundschaft zu schätzen weiß, respektiere ich selbstverständlich sein Bedürfnis und wir suchen unsere, nur wenige Gehminuten entfernte Lieblingskneipe, das „fkd’p“, auf, um auch dort die frohe Kunde über das Motto unserer Feierlichkeit zu verbreiten.

Auch die Bardamen wissen unseren Enthusiasmus zu schätzen, nicht zuletzt aufgrund Harveys Talentes mit Frauen umzugehen. Eines Dichters und Poeten Freundes würdig jongliert er mit seinen gott- oder muttergegebenen Vokabeln, als könne er dadurch den Mayakalender umschreiben um der Menschheit einen Tag mehr Lebenszeit zu ermöglichen. Allerdings ist das nicht das Ziel Harveys, genau genommen tangiert ihn weder die Lebenszeit der Menschen im Allgemeinen als derartige Weltuntergangstheorien im Speziellen. Wenig später fällt auf, dass unsere Getränke sich immer schneller leeren, aber auch die Wartezeiten auf die jeweils nächsten Getränke auffällig kürzer werden, was zweifellos Harveys Charme zu verdanken ist.

Das Display meines Smartphones, denn wir sind ja modern, verzichten auf Chronomaten an den Handgelenken, aber nicht auf das Internet in der Hosentasche, verrät uns, dass wir längst die ersten paar Stunden des auf die letzte Nacht folgenden Tages hinter uns gebracht haben, was die These bestätigt, die ich durch Harveys stark verlangsamte Augenaufschlagfrequenz für meine ganz persönliche Studie aufgestellt habe, und da ich stets bemüht bin der Bezeichnung „Wahrer Freund“ ein möglichst perfektes Beispielsubjekt darzubieten, frage ich Harvey, ob wir die Feierlichkeiten nun beenden möchten, um sein Reich aufzusuchen und dort akzeptierend und vor allem nächtigend auf den Kater zu warten, welcher uns nach dem Schlaf zweifelsfrei heimsuchen wird, „Apropos muss ich bei dir pennen!“ füge ich noch hinzu. Harveys darauf folgende Geste symbolisiert mir unschwer erkennbar, dass er einverstanden ist, also erheben wir uns, so gut wir das noch können und bewegen uns zum Tresen um Urkunden unseres Durstes einzuholen. Selbstverständlich geben wir angemessenes Trinkgeld, denn zum Trinken gab es reichlich, danken für wenig Speis‘ und viel Trank, und während ich zu meiner Jacke greife um mich, für die sicherlich mittlerweile doch sicherlich gesenkte Außentemperatur, zu rüsten, tauscht Harvey noch schnell seine Handynummer mit der Nummer der Bardame aus. Ich bin immer wieder überrascht, wozu dieser junge Heroe imstande ist, selbst wenn er sich parallel im betrunken, sowie im halb schlafenden Zustand befindet.

Ein gelungener Abend, so denken wir, gönnen uns noch ein letztes Glas in Harveys gemütlichem Wohnungsambiente und betten uns anschließend in Bett und Couch.