Donnerstag, 1. November 2012

What a wonderful world


„I see trees of green, 
red roses too 
I see them bloom 
for me and you. 
[…] 
I see skies of blue 
and clouds of white. 
bright blessed days, 
dark sacred nights. 

And I think to myself 
what a wonderful world.“

- Louis Armstrong – What a wonderful world 


„Natur“ hat einen Account auf Facebook. Derzeit gefällt das ungefähr 24500 Personen.
RTL hat ebenfalls einen Account auf Facebook. 514000 virtuelle blaue Daumen erstrecken sich dafür in die Höhe.

Petra S., Name und Person frei erfunden, beteiligt sich an einer Castingshow. Petra S. ist potthässlich, daher auch mit ihren 29 Jahren nahezu ungevögelt, bis auf wenige Ausnahmen, die Petra zuließ, damit sie sich beachtet vorkommt. Männer ohne Anspruch finden sich überall. Hätten sie Anspruch besessen, dann wäre ihnen vielleicht auch Petras eigentlich guter Charakter aufgefallen, leider aber auch ihr Gesicht. Petra hat sich „wahre Schönheit kommt von innen“ in die Wade geritzt.

Petra S. erhält die Kandidatennummer 187. Kurz vor ihrem Auftritt vor den Juroren springt ein hyperaktives Kind mit bunten Klamotten und schräg sitzendem Cappy aus der Tür des Raumes, den Petra S. gleich aufsuchen wird. In seiner Hand befindet sich ein Zettel. Recall steht drauf, das erkennt Petra S. auch von ihrer Position in der entfernten Ecke des weitläufigen Raumes aus. Petra S. ist aufgeregt.

Eine Anzeige mit rot leuchtender Schrift zeigt die Nummer 187. Petra S. begibt sich zur Tür und betritt den Raum der Jury.
„Petra S., soso“ sagt der Top-Juror und schaut Petra S. mit irritiertem Blick an. Er weiß nicht so recht, ob er sie anstarren sollte, oder gar ob er das lange durchhalten würde. Petra S. steht verschüchtert auf ihrer Position und schaut unsicher auf den Schreibtisch vor der Jury. Das weibliche Jury-Mitglied schaut ebenfalls auf den Schreibtisch, ihr Blick verbildlicht eine Mischung aus Mitleid und Ekel. Der korpulente und letzte Teil der Jury ist freundlich zu Petra S. er bittet sie, ihm etwas von sich zu erzählen, aber das will Petra S. nicht. Petra S. möchte sich beweisen. Sie will zeigen, was in ihr steckt. Die Leute sollen sehen, dass Aussehen nicht alles ist, dass sie singen kann, dass in ihr ein wunderschönes Wesen steckt, welches sich durch ihre Stimme ausdrücken will. Der schwergewichtige Juror ist etwas eingeschnappt, dass ihm Petra S. keine herzerweichenden Fakten bezüglich ihrer Hässlichkeit geben kann. Die Quote interessiert ihn, es ja irgendwo auch um seinen Arbeitsplatz, denkt er. „Okay, fang an“ sagt der Top-Juror zu Petra S.

Die Jury erwartet Christina Aguileras „Beautiful“ vergeblich. Petra S. bedient sich eines Klassikers von Nick Cave und Kylie Minogue. „Where the wild roses grow“ soll es sein. Die Dame in der Jury kennt Nick Cave nicht, der Top-Juror fühlt sich beleidigt, weil Petra S. ein Lied singt, in dem die singende Dame als schön beschrieben wird und das korpulente Mitglied der Jury hört seit der Verweigerung von Petras S.s Lebensgeschichte nicht mehr hin.

Petra S. beginnt zu singen. Das Lied, welches sie singt, hat in ihrer Version die Qualität ihrer Optik. Will man sich die Szenerie bildlich vorstellen, so legt man einfach eine VHS-Kassette in einen Videorekorder und schließt diesen per Scartanschluss an einen 50-Zoll-HD-Fernseher an.

Auch wenn die Jury gerne hören würde, wie der schöne Jüngling Petra S. mit einem Stein erschlägt, müssen sie ihren Auftritt abbrechen. Natürlich nicht ohne die obligatorischen Phrasen abzulassen. Petra S. bekommt außerdem vom Top-Juroren das Verbot, jemals wieder dieses Lied und vor allem überhaupt zu singen. Petra S. schweigt. Sie hört sich die Jury-Kommentare in Ruhe an und verlässt anschließend den Raum. Hinter der Tür stehen keine Freunde, die erfahren wollen, ob Petra S. eine Runde weiter ist. Sie verlässt das Gebäude, steckt sich ihre Kopfhörer in die Ohren und begibt sich zurück zum Bahnhof, um auf den Zug zu warten, der sie von dort fortbringt.

Lange muss sie nicht warten, schon aus der Ferne sieht sie, wie die Sonne auf dem weißen Metall reflektiert. Der Zug kommt ihr ein bisschen himmlisch vor, fast so, wie ein kleines Zeichen Gottes, ein Hinweis. Petra S. weiß, was zu tun ist. An der Bahnsteigkante wartet sie, ihre Fußzehen, selbstverständlich in ihren Schuhen versteckt, ragen sogar darüber hinweg. Sie hört, wie der Zug sich nähert, ein warnendes Signalhorn ist zu hören. Sie macht ihren MP3-Player lauter und lässt die Geräusche vermischen. Sie schließt die Augen, geht einen Schritt.

Der Zug kommt zum Stehen. Das Haar von Petra S. weht noch durch den Fahrtwind des Zuges , ihr Gesicht hat sie der Böe zugewendet und man könnte fast meinen, dass da am Bahnsteig eine hübsche Frau steht. Die Passagiere betreten den Zug, auch Petra S. Sie freut sich auf ihr Zuhause.



© Artwork by 'Pyromaniax' (http://pyromaniax.deviantart.com/)