Sonntag, 17. Februar 2013

Gutmenschen und Gewissen

All beauty must die. Diesen Satz habe ich früher ganz besonders schön gefunden. So schön, dass ich ihn erstens überall hingekritzelt habe und zweitens oftmals praktisch angewendet habe. Heute sehe ich, dass ich, zumindest damit, im Leben großen Erfolg hatte. Würde ich heute noch die Gegend mit Textverschönerungen beschmieren, so müsste ich wohl all beauty is dead schreiben…


In meiner Grundschulzeit war ich zwar ein eher verhaltensauffälliges Kind mit einer Tendenz zum mutwilligen Stören jeder Unterrichtsstunde, die von einer Lehrkraft geleitet wurde, die mir nicht sympathisch war (und das traf auf nahezu alle zu). Meine Klassenlehrerin war eine nicht sonderlich hübsche Frau mit einer strengen Stimme, die oft genug an mir verzweifelte. Während den 2 letzten Grundschuljahren, die ich mit dieser Lehrerin verbrachte habe ich sie verachtet. Jeder Unterricht bei ihr war für mich eine Qual. An irgendeinem Tag gegen Ende des letzten Grundschuljahres kam es zu einem Vorfall. Ich weiß nicht mehr genau was geschah, aber fest steht, dass für irgendeine Tat ein Schuldiger gesucht wurde. Natürlich wurde auch ich von meiner Klassenlehrerin gefragt ob ich der gesuchte Übeltäter sei.
Ich verneinte.
Irgendein/e Mitschüler/in äußerte dann wohl ihren Zweifel an meiner Unschuld in Bezug auf den Vorfall. Meine Klassenlehrerin sagte dann einen für mich folgenschweren Satz:
„Ich weiß, dass der Junge viel Mist baut, aber er ist ein ehrlicher Mensch.“
An diesem Tag habe ich beschlossen, dass ich einmal ein guter Mensch und ein Vorbild für andere sein möchte. Nicht zuletzt auch, weil ich zum ersten Mal in meinem Leben erfuhr, wie sich ein richtig schlechtes Gewissen anfühlt…

…schließlich war ich schuld.


Als ich sowohl die Grund- als auch die Regelschule halbwegs erfolgreich hinter mir ließ, beschloss ich, in meiner neu gewonnen Freiheit mein jahrelanges Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Wie jeder Heuchler an Silvester gab ich mir Vorsätze, welche zu erfüllen ich mein Leben widmeten wollte. Sollte irgendwann einmal ein weibliches Wesen in mein Leben treten, und dieser Gedanke war seinerzeit utopisch, so würde ich selbstverständlich für immer treu sein. Sollte ich irgendwann einmal jemandem eine negative Erfahrung verdanken, so würde ich verzeihen. Dinge an mich nehmen, welche mir nicht gehören sollte natürlich auch ein großes Tabu sein. Aber das wichtigste: Ehrlichkeit.

Als ich auch den letzten dieser Vorsätze gebrochen hatte, ja sogar anfing, hin und wieder deutschen Rap zu hören, fiel ich in die anfangs beschrieben Phase. Ich war enttäuscht von mir und sah, dass es ohnehin keinen Unterschied machen würde, ob ich mit gutem Beispiel voran ginge oder mich dem Zerstören-öffentlichen-Eigentums-Mainstream anschließen würde. Die Welt würde bleiben wie sie ist. Also probierte ich natürlich auch von den Früchten der Alternative und ich gebe zu: Auf der anderen Seite kann man ungemein viel Spaß haben. Da es ohnehin ein eher unangenehmes Gefühl war, spaßloser Gutmensch zu sein, während die anderen nicht glücklicher, aber wohl auch betrunkener nicht hätten sein können, entschloss ich mich, lieber dort mitzuspielen.
Ich erinnere mich an einen Abend mit Harvey. Zuerst ‚schneite‘ es im Keller, anschließend Sprühnebel durch das Fenster meiner Lieblingskneipe. Nach drinnen. Irgendwann warfen wir den Feuerlöscher weg. Natürlich durch das Fenster eines Schulgebäudes. Später, in meiner Lieblingsbar, taten wir betroffen, als uns der Besitzer von einem Vorfall in jener Nacht erzählte. Irgendwelche Idioten hätten seine Kneipe durch das Fenster mit einem Feuerlöscher nahezu vergast. „Die Jugend, diese verdammte Jugend“ sagten wir und bestellten jeweils ein Pint. Klasse Abend.

Irgendwie war ich allerdings von keiner der beiden Seiten, ob nun gutes Vorbild oder Nach-mir-die-Sintflut so richtig überzeugt, also einigte ich mich auf den Kompromiss, ein gesundes Gleichgewicht einzuhalten. Wenn ich Lust auf Chaos hatte verabredete ich mich mit Harvey und tat, was ein junger Mann tun muss. Ich bin übrigens bis heute von der Sprengkraft osteuropäischer Pyrotechnik überrascht.
Hatte ich Lust auf niveauvolle Abendgestaltung im gehobenen Ambiente, so unternahm ich etwas mit Meltrikz, ehemaligen Mitschüler und bis heute einer meiner drei besten Freunde.

Wenn ich gerade nichts mit den Jungs unternahm, verfolgte ich den privaten Teil meines Lebens mit meiner Ausbildungszeit, Mädchen und anderen verrückten Dingen.

Während meiner Ausbildung, ich arbeitete für ein Telekommunikationsunternehmen mit magentafarbenem Logo, welches ich aus Datenschutzgründen nicht näher benennen möchte, versuchte man mir beizubringen, dass Kunden nicht als Menschen zu sehen sind, sondern als Geldquelle. Es ist nicht wichtig, ob ein Kunde genug Geld für das Produkt hat, dass man ihm aufschwatzt. Lediglich, dass er vertraglich dazu verpflichtet ist, ist relevant, das Unternehmen kommt schon an sein Geld. Was ich allerdings wirklich lernte war, dass ein Gewissen im Arbeitsalltag vieler Unternehmen eher hinderlich als von Vorteil ist.

An diesem Punkt erinnerte mich daran, was mir früher mal wichtig war und zog meine Schlüsse daraus. Vom Anfang bis zum Ende meiner Ausbildungszeit habe ich nicht einen einzigen Kunden etwas aufgeschwatzt, das er nicht ausdrücklich wollte und habe ebenso keinen Kunden belogen oder zum Kauf nutzloser Extras überredet.

Auch abgesehen vom Arbeitsalltag wurden mir alte Werte wieder wichtiger und so langsam verstand ich, dass es nie das Ziel hätte sein sollen, als guter Mensch die Welt beziehungsweise andere Menschen zu verbessern. Alles was wichtig ist, ist seinem Gewissen leben zu können, und das geht deutlicher angenehmer vonstatten, wenn man hin und wieder etwas Gutes für Andere tut oder eben ganz einfach als freundliches Individuum durch die Welt zieht.

Aber auch mit aber nicht wegen dieser Einstellung habe ich große Fehler gemacht und Menschen verletzt und unglücklich gemacht.

Jemand, der mir einmal viel bedeutet hat sagte vor nicht allzu langer Zeit über mich, ich sei „kein guter Mensch“, und vielleicht hat der Urheber dieser Aussage auch Recht damit. Vielleicht ist es aber viel wichtiger, nicht fehlerfrei durchs Leben zu gehen, sondern zu wissen, dass man einen Fehler gemacht hat und dieser Fehler einem leid tut.

Vielleicht aber auch nicht.




© Artwork by 'gwichin' (http://gwichin.deviantart.com/)