Freitag, 18. Juni 2021

Keine Panik

Triggerwarnung: Der folgende Text interessiert sich einen scheiß für deinen Safespace.

Auch ohne zehntausend Jahre in einer Öllampe verbracht zu haben ist mein Genick in einer vergleichbaren Verfassung und könnte das eine Kalkschulter sein, oder möchte mir Google nur mal wieder ein wenig Angst einjagen? Der Gag wird alt, Freundchen! Es ist schon wieder Sommer. Damals kommentierte ich gerne und regelmäßig scherzhaft „geil, endlich wieder in kurzen Hosen vor dem Rechner sitzen!“ dazu. Heute hingegen lassen mich die eimerweise Nutzung von Augentropfen und die physischen Wehwehs (fick mal deinen erzwungenen Diminutiv an dieser Stelle, Konrad) in so vielen Bereichen meines Körpers, in welchem selbst bei meiner Sportsbegeisterung einmal Muskeln versteckt waren, zynisch und schmerzhaft „geil, endlich wieder in kurzen Hosen vor dem Rechner sitzen!“ dazu durch fest aufeinandergepresste aber immerhin beinahe vollständige Zahnreihen raunen. „Weisheit ist keine mehr da, den Zahn muss ich dir ziehen“ HA-FUCKING-HA. Kill yourself.

Speaking about it: Gürtel und Tür? Nah, zum einen nicht besonders angenehm, zum anderen besonders unangenehm, außerdem siehts scheiße aus. Pillen? Ich krieg ja nicht einmal einzelne Pantoprazol ohne größte Anstrengungen runter. „It’s down the road, not across the street!“ ja, gut, aber nicht nach Constantine, ich brauch die Finger noch zum Jammern. Es nützt nichts, solange es keinen angenehmen Ausweg gibt, muss ich wohl dableiben, obwohl es nichts nützt. Es nützt ja nichts. Und wo soll das hier eigentlich hinführen? Wo soll das hier eigentlich hinführen? Wo soll das hier eigentlich hinführen?
In einem Jahr lachste drüber. Oder atmest wenigstens hörbar durch die Nase aus. Oder eben gar nicht mehr.

Über 8 Jahre und immer noch nicht per du mit meiner Therapeutin, über 30 Jahre und immer noch nicht per Sie mit meiner Mutter. Wenn ich nicht live erlebt hätte, wie Panikattacken aussehen, dann würde ich behaupten, ich sei betroffen, aber stattdessen ist das wohl einfach nur ein Dauerzustand ganz handelsüblicher Angst. Stress und Angst machen krank, they say, papperlapapp I say, sieh mich an - der am Stock stolzierende Gegenbeweis.

Und dann erwische ich mich bei der Suche nach Feindbildern, weil das nun einmal eben der Lauf der Dinge ist, wenn man sich zu lange mit sich selbst einsperrt oder eingesperrt wird.  
Und dann sitzen sie da in meinem Kopf und ihren WG-Zimmern und streicheln ihre Smartphones, posten auf Twitter und Instagram 140 Zeichen und Bildchen darüber, wie wichtig es doch ist, aware und woke und überhaupt zu sein, zu leben, denn das Leben ist doch da draußen bei all deinen echten Freunden, nur um sich 250 Upvotes später darüber zu wundern, warum das gute Gefühl trotzdem immer so schnell wieder nach Hause will. Und Like auf Like werden sie zum Dopamine sagen: „Verweile doch, du bist so schön!“.
Und eigentlich kam an dieser Stelle noch ein ausufernder Absatz über die Überflüssigkeit eines Matthias Schweighöfer oder seiner 17 Jahre älteren Kopiervorlage, aber genau so gut könnte ich davon erzählen, dass der Klimawandel real und das eigentliche Problem nicht SUVs sind, sondern die überflüssigen Menschen, die sie fahren, es wäre Grundlagenwissen, nichts neues, hatten wir schon, kommt immer wieder rein. Vielleicht bin ich auch einfach nur neidisch auf deren Talent.
„Und heute klappts spontan doch nicht, aber Ende der Woche klappts sicher, ja, da machen wir auf jeden Fall was, ich hab wirklich Bock! Ja, ganz sicher!“ Ja, ganz sicher.
Und wie ist das mit diesen Toffifees eigentlich gemeint? Wie kriegt soll man die aus der Packung bekommen, wenn mir meine OCD nicht erlaubt, die Form dabei vollständig zu zerdrücken? Gibt es dafür Werkzeug, von dem ich nichts weiß? Die menschenverachtendste Erfindung seit Waterboarding und vor dieser Zeile.
Und. Und. Und. Feinde kann man sich überall machen, es braucht nur ein wenig Engagement und (völlig berechtigte) Kritik an Marvel-Filmproduktionen. Anspruch macht einsam. Dabei möchte ich doch gar nicht viel. Manchmal würde es mir schon reichen, auf die 5 Sekunden bis zum Überspringen der Werbung auf YouTube verzichten zu dürfen. Mich interessiert dein Nagelpilz nicht und ihr seht auch von inne aus wie ein ganz normaler Onlinehandel, verpiss dich!
Und nein ich bin nicht okay, ich bin wirklich, wirklich nicht okay.
Und was stimmt eigentlich mit dieser Heizung nicht, dass ich hier im Juni auf dem Boden meines Badezimmers kauernd zittern muss? Wie viel Pathos könnte vermieden werden, wenn auf Konjunktionen zum Satzanfang verzichtet werden würde?

Ich weiß nicht, und frage mich oft, ob ich mich überhaupt so fühlen darf. Die eine Stimme in meinem Kopf sagt mir, ich hab doch alles, ich lache doch dauernd, ich bin doch der Typ, der noch die unterkühlteste Versicherungsangestellte am Telefon innerhalb von Sekunden durch seine offenherzige Art bis zum Adoptionswunsch auftaut. Der Typ mit den Sprüchen, die schon gut ankamen, als er noch nicht einmal gegen seinen Willen geboren wurde. Der Typ, der sich seit 30 Jahren Zeit und Ruhe lässt, einen vernünftigen Abschluss zu machen. Sieht doch ganz gesund aus, der Kerl, manchmal vielleicht ein bisschen anstrengend, ja ja, aber so im Großen und Ganzen ganz okay. Außerdem hat der doch seit Jahren dieselben drei Menschen, die sich sein Gejammere auf einer hoffnungslos veralteten Plattform anhören. Da gibt’s doch andere, denen es viel schlechter geht. Seinem besten Freund oder seinem Vater, den er nach all der Zeit fast zu erwähnen vergessen hätte, um nur mal ein paar einfache Beispiele zu nennen. Aber auch anderen, es müssen ja nicht gleich Tote sein. Seine Mutter zum Beispiel, die von ihrem Vater Werte geerbt hat, die sie dazu veranlasst haben, ihre Kinder beim Aufkommen von Unmut per Handkante zu maßregeln, arme Frau. Oder so viele der neun, die ihm von ihren erlebten Schicksalen erzählt haben, die absolut rechtfertigen, dass eine stabile Basis zum jeweiligen Zeitpunkt absolut nicht drin war. Oder Personen ohne Hände, keine Chance auf Toffifees.

Die andere Stimme hat nichts mehr zu sagen.



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At the end of the day by 'Pajunen'