Micha.
Wen interessieren schon Uhrzeiten. Es ist Nachmittag und der Unterricht vorbei.
Der richtige Stress beginnt erst jetzt, als ich auf meinem Bett liege, die Zimmerdecke
anstarre und überlege, was ich mit all der freien Zeit die mir heute gegeben
ist anstelle. Die Optionen erscheinen schier endlos. Ein Mittagsschläfchen? Meine
Zeit am Rechner verlauern? Eine der zahllosen Spielekonsolen, welche sich in
diesen 4 Wänden aufhalten in Betrieb nehmen? Aus dem Fenster starren? Okay, das
fällt raus, ich bin ohnehin zu faul, jetzt die Vorhänge beiseite zu schieben.
Immer dieser Entscheidungszwang. Vielleicht sollte ich Rabe oder Erik Gesellschaft
leisten? Wobei: Besser nicht. Der eine schläft noch und der andere schon.
Immer, wenn mich solche Momente plagen, greife ich nach meinem Smartphone und
schaue, ob es dort irgendwelche Neuigkeiten gibt. Als Angehöriger der
Generation Facebook hat man natürlich immer Angst, irgendetwas zu verpassen.
Als meine Hand die Oberfläche meines Nachtschrankes erreicht, auf welchem sich
mein Smartphone standardmäßig befindet, und dort nach mehrmaligem blindem
Herumfühlen leider kein Mobiltelefon auffinden kann, erinnere ich mich an das
gestrige Dahinscheiden dieses Peripheriegerätes. Hatte mich schon gewundert,
warum ich heute im Unterricht so aufmerksam war…
Während ich also nichtstuend und nichtsahnend vor mich hindöse
löst plötzlich ein Fingerschnips Gottes mein Problem. Der Heiland kann sich
meine Zeitverschwendung nicht länger mit ansehen und schickt einen seiner
Boten, um mich von meiner Untätigkeit zu erlösen.
Es klingelt an der Tür. Zunächst überlege ich, ob meine Faulheit stärker ist,
als mein Tatendrang. Dann wird mir klar, dass sich diese Frage eigentlich von
selbst klärt, jedoch jeder andere Mensch in dieser Wohnung schläft und ich
somit der einzige bin, der für Ruhe sorgen kann.
Ich schäle mich aus meinem Bett, schiebe die nur angelehnte Tür mit meinem Kopf
auf und gehe zur Wohnungstür. Vorsichtig wie ich nun einmal bin schaue ich aber
zuerst durch den Türspion, bevor ich potentiellen Massenmördern und/oder
Männern von der GEZ die Pforte öffne.
Was mich da durch das kleine Loch anstrahlt, lässt mich die Tür aber frei von
jeglicher Furcht aufreißen.
Auf dem Flur steht ein rothaariges Mädchen. Es trägt (m)eine Collegejacke,
Turnschuhe, gewohnt wenig Kosmetikprodukte, ein orangefarbenes Shirt mit einer
orangefarbenen Orange und dunkelblaue Röhrenjeans. In ihrer Hand hält sie eine
rote Lederleine und am Ende der Leine befindet sich der Hals eines lächelnden
schwarzen Beaucerons.
„Hallo Tina“, sage ich, müde grinsend. Tina umarmt mich und betritt mit Velvet
die Wohnung. Tina ist so etwas wie die Gallionsfigur dieses Schlachtschiffes
von einer WG. Ein gern und oft gesehener Gast mit größtmöglichem
Beliebtheitsfaktor. Das hat mehrere und weitere, für jeden Bewohner der WG
verschiedene Gründe. Velvet, ihre Hündin, erfreut sich einer ähnlich großen
Beliebtheit. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie so gut wie kaum Haare
hinterlässt, wenn Tina sie wieder mitnimmt.
Aber auch sonst ist Velvet ein besonders tolles Tier. Da Tina über ein großes
Maß an Humor, Geduld, Zeit und vor allem Tierliebe verfügt, hat sie Velvet diverse
Befehle beigebracht. Velvet setzt sich, legt sich hin, rollt sich auf dem Boden
und macht Männchen bzw. Weibchen. Da das an sich noch nicht sonderlich lustig
wäre, hat Tina ihr unter anderem ein weiteres, besonderes Kommando beigebracht.
Velvet hört auf das Kommando ‚Fass!‘. Damit erschrecken Tina und ich gerne
andere Menschen, denn ruft man Velvet ‚Fass!‘ zu und zeigt auf jemanden, dann
rennt sie auf diese Person zu, bleibt vor ihr stehen und legt sich auf den
Rücken, in freudiger Erwartung darauf, von ihrem Gegenüber auf dem Bauch
gekrault zu werden. Leider müssen so gut wie immer Tina oder ich diesen Part
übernehmen, weil die betroffenen anderen Menschen längst schreiend geflohen
sind. Man kann es ihnen nicht verübeln, denn auf Menschen, die Velvet nicht
kennen, kann dieses Tier schon einen respektablen Eindruck machen…
„Die anderen schlafen gerade, lass erst mal in mein Zimmer
gehen, okay?“, frage ich rücksichtsvoll leise und Tina nickt mir zu und folgt
mir. Selbst Velvet scheint sich Mühe zu geben, sich möglichst leise zu bewegen.
Ich schließe meine Zimmertür von innen und Velvet legt sich auf meine Couch und
schließt ihre Augen. Sie liebt meine flauschige Couchdecke.
Was nun folgt, ist einer der persönlichen Gründe, warum ich Tina so schätze.
„Wollen wir was zocken?“, fragt sie mich.
Ich schaue etwas niedergeschlagen. „Was ist denn los?“
„Naja, ich hab doch letztens mit Erik gespielt und du weißt ja wie er so
reagiert, wenn er meint, das Spiel hätte ihn unfair behandelt. Dieser Haushalt
hat somit nur noch einen, genauer: meinen Controller. Der von Rabe liegt bei
einem seiner Mitstudenten, er verlieh ihn mit den Worten: ‚Brauchen wir eh erst
mal nicht, haben ja nur 2-Spieler-Spiele, da reichen doch fürs Erste 2
Controller aus.‘, ich wünschte er hätte gewusst, dass er da bestimmte Faktoren,
beziehungsweise Mitbewohner, berücksichtigt hätte…“
„Ja, und? Weiß ich doch, hat er mir selbst erzählt. Hab meinen eigenen dabei.
Sicherheitshalber habe ich auch das ein oder andere Spiel mitgebracht, such dir
einfach was aus!“ und sie reicht mir ihre Tasche. Wir probieren diverse
Softwareperlen durch, bilden perfekte Teams in kooperativen Spielen und
unerbittliche Blutfeinde, wenn es darum geht, uns in anderen Spielen
gegenseitig fertig zu machen.
Am Ende kann man grob überschlagen sagen, dass die Ergebnisse einen Gleichstand
aufweisen. Dummerweise spreche ich die Gleichstandsache laut aus und sowohl
Tina als merkwürdigerweise auch Velvet funkeln mich knurrend an. „Fass!“ sagt
Tina böse, und bedeutet Velvet den Weg in meine Richtung anzustreben...
Rabe.
Ich hatte einen Traum. In meinem Traum lebte
ich in einer WG und meine Mitbewohner hatten exakt denselben Schlafzyklus wie
ich. Dann erwachte aufgrund lauten Gelächters aus dem Zimmer gegenüber von
meinem. Der leere Flur dazwischen vermag die Schallwellenarmee nicht
aufzuhalten, welche mir den überraschenden Krieg erklärt. Ich springe auf, im
Flur schnappe ich mir auf dem Weg zum Feind noch eben den Baseballschläger
meines Krach machenden Mitbewohners, der dort herumsteht, falls doch einmal
jemand vergisst, durch den Türspion zu gucken und versehentlich so einen
GEZ-Peter hereinlässt. Dann stürme ich durch die Tür.
„Zwanziguhrdreißigduhu.. Oh, hy Tina!“ Ich verstecke die Holzkeule hinter
meinem Rücken. Velvet springt vom Sofa, rennt hinter mich, schnappt mir das
Instrument aus den Händen und rennt damit auf den Flur. Ich nehme an, sie
glaubt, ich wolle mit ihr spielen. Jetzt fühle ich mich ein wenig schuldig.
„Na, schon wach, Rabe?“, fragt mich Tina lächelnd und ich antworte ihr mit „Meine
Sympathiesensoren haben sich gemeldet und da dachte ich mir, ich schau mal
nach. Ist schließlich ungewöhnlich, dass die mich in dieses Zimmer rufen.“
„Ja, danke, das war subtil“, sagt mein Mitbewohner.
„Du solltest wirklich ein wenig freundlicher gegenüber Micha sein! Dank Erik
wirst du vorerst mit seinem Controller spielen müssen“, sagt Tina gespielt böse.
„Danke Tina, ganz besonders für das In-Schutz-nehmen eines männlichen Menschen als
Frau, wirklich gut für mein Ego..."
„Ich glaube, mein Hund möchte sich, dank deines Einflusses, jetzt sportlich betätigen.
Schade eigentlich, wollte dich gerade, jetzt wo du wach bist, fragen, ob wir
jetzt was machen wollen… So, bei dir und so…“
Weil Micha nicht Nachtragend ist und seine beiden Mitbewohner wie Brüder liebt,
rettet er die Situation. „Ich geh gerne mit Velvet raus, außerdem bin ich mit
gerade ohnehin in Führung gewesen.“ Warum schaut sie ihn denn plötzlich so
grimmig an?
Velvet geht mit Micha Gassi. Wer da wen an der Leine hat, lässt sich wirklich
nicht so genau sagen.
Tina und ich verlassen das fremde Zimmer und suchen meines auf. Tina kommt also
in mein Zimmer. Tina kommt in meinem Zimmer. Kurz vor mir kommt Tina. In meinem Zimmer. „Hallo?
Cpt. Tina an Sgt. Rabe? Würdest du mir bitte mal sagen, wo du schon wieder in
deinen Gedanken herumflanierst?“, fragt Tina, als ich eine ganze Weile Stumm
neben ihr liege. Auf meiner wie immer ausgeklappten Schlafcouch sehen wir uns auf meinem Laptop
gestreamte Filme an. Dabei kritisieren wir natürlich heftig die schlechten schauspielerischen
Leistungen der Akteure, die teilweise miserable Auswahl des Soundtracks und
natürlich den Film per se. Dass Tina dabei an perfekt ausgewählten Termini
unseres Soziolektes nicht zu sparen weiß, ist ein persönlicher Grund für mich,
Tina ganz besonders zu mögen. Nach 2 durchschnittlichen Filmen -das skandinavische
Kino ist eine Sache für sich- überkommt mich allerdings schon wieder die
Müdigkeit. Tina merkt das, sagt, dass das absolut kein Problem wäre und sie
ohnehin noch mit Erik was trinken gehen wollte und verabschiedet sich von mir
mit einem dahingesummten Schlaflied, während sie mein Zimmer verlässt.
Erik.
Ist es noch oder schon dunkel? Verlasse das Bett und taste nach dem
Lichtschalter. Als ich ihn finde und mehrmals betätige fällt mir ein, dass ich
die Glühbirne vor Wochen wechseln wollte. Naja, mach ich dann wohl morgen.
Vielleicht. Muss jetzt auch so gehen. Ich finde nach kurzer Suche meine Tür
samt Klinke und durchschreite Nachtblind die Pforte. Irgendwie ging die Tür
auch schon mal leichter auf. Geblendet von all dem Licht auf dem Flur brauchen
meine Augen einen Moment, um den dunklen Klumpen auf dem Flurboden zu
identifizieren. Offensichtlich kann er sprechen. „Aua. Guten Morgen Erik!“ Diese
Stimme kommt mir sehr vertraut vor, mit sorgfältig gewählten Worten möchte ich
aber auf Nummer sicher gehen. „Wer isn da?“ Meine Finger reiben über meine
Augen.
„Man, man… es ist fast zwölf!“
„Komischer Name, warte ma. Tina? Hallo!“
Langsam
erkenne ich sie deutlich.
„Ja hallo!“ Ich helfe ihr hoch.
„Wollte dich fragen
ob du Lust hast, was trinken zu gehen.“, sagt sie, während sie ihren Hintern
reibt, auf welchen sie wohl eben gefallen ist. „Du bezahlst, du bestimmst…“
Mein Finanzstatus verbietet mir mal wieder, Teil der Spaßgesellschaft zu werden
und das versuche ich Tina durch diese Worte klarzumachen. Dann aber geschieht
etwas, womit ich nicht zu rechnen gewagt hätte. Tina benutzt Worte, die magischer
sind, als alles was David Copperfield jemals von sich gab.
„Kein Problem“
Habe ich mich verhört? Spricht der Herrgott durch die Lippen dieser jungen
Schönheit? Ist es Zeit, doch damit anzufangen, die Bibel-PDF, die ich mir
einmal interessehalber raubkopierte, um mit den darin enthaltenden Sprüchen zu
klugscheißen, zu lesen? Was geschieht hier? „Ganz im Ernst, hab meiner Tante
erzählt, ich hätte Geburtstag.“ Ich kann zwar nicht gutheißen, dass Tina der
dementen Schwester ihrer Mutter permanent von ihrem ständig angeblich stattfindenden
Geburtstagen erzählt, andererseits hatte die gute Frau aber zu mental gesunden Zeiten
jemanden zu physisch ungesunden Zeiten geheiratet, dem es finanziell deutlich
besser als gesundheitlich ging.
„Na wenn das so ist. Abtaun?“ Das Abtaun ist eine sympathische, günstige und
familiäre Kellerkneipe unweit unserer WG. Sein Besitzer und dessen Mitarbeiter
sind angenehm im Umgang und sein Name soll wohl lustig sein und eine Art
Anglizismus bilden. „Dumme Frage“, sagt Tina, womit sie auch irgendwie Recht hat.
Erstens gehen wir nie irgendwo anders hin, zweitens ist es wie bereits erwähnt recht
preiswert dort, was die Getränke angeht und drittens sind wir ohnehin zu faul,
weiter als bis dahin zu laufen. Außerdem kennen wir kaum Lokalitäten, welche an
Wochentagen so lange geöffnet haben, wie das Abtaun.
„Heute gar keinen Hund dabei?“, frage ich. „Micha ist mit Velvet unterwegs.
Weißt doch, die beiden mögen sich, man weiß nie wann die wieder auftauchen, ich
lass einfach einen Zettel da, dann kann er Velvet später noch vorbeibringen, oder
er lässt sie einfach hier schlafen, aber damit er weiß wo ich bin und so…“ Ich
mag Velvet. Toller Hund, gibt sogar Pfote wenn man ‚Zahltag‘ sagt.
Im Abtaun angekommen bestellen wir die üblichen Getränke. Tina bekommt zeitgleich
eine Club-Mate, einen Long Island Iced Tea und ein Bier und ich bekomme, naja,
zunächst einmal drei Bier.
Tina fragt mich etwas frech, was ich derzeit so mache. „Jobsuche“, sage ich
kurz, kann aber einfach nicht anders als dabei etwas zu lachen. Auch Tina
scheint Probleme damit zu haben. Im weiteren Verlauf dieses Gespräches sprechen
wir über alles Mögliche. Oft kommen wir dabei auf lustige, absolut dämliche
oder total Spannende gemeinsame Erlebnisse aus der mehr oder weniger entfernten
Vergangenheit zu sprechen. Dabei bestellt Tina immer wieder Shotgetränke und wir
trinken auf diese Erfahrungen. Je nachdem, ob es lustige Erfahrungen waren oder
traurige lachen wir dabei oder spielen theatralisch niedergeschlagen. Ein weiterer
Vorteil des Abtauns ist, dass wir das gesamte Team dort kennen, demzufolge
verzeiht man uns auch, wenn wir uns hin und wieder etwas zu laut aufführen. Ein
Tisch in der Mitte des Lokals übertrifft unsere gelegentlich auftretende Maximallautstärke
allerdings bei weitem…
Man kann ohne große Mühe heraushören, über was sich die drei Herren so
amüsieren und es widert offensichtlich die Bedienungsdame an. Auch dem Besitzer
an der Bar fallen die Herren negativ auf, und es ist deutlich, dass er, wenn
nicht gleich etwas sehr entschuldigendes passiert, die Männer des Hauses
verweisen wird. Offensichtlich freuen sich die Typen laut darüber, dass mal
wieder irgendjemand mit einer Katze Fußball gespielt hat und das Tier danach,
natürlich vor laufender Kamera, auseinander genommen hat. Als mein Blick wieder in Tinas Richtung begibt,
steht diese gerade auf und mir ist sofort klar, dass nun etwas geschehen wird,
über das wir bald als spannende vergangene Sache unterhalten werden, während
wir darauf Shots trinken.
Tina erreicht den Tisch, sie bebt vor Wut, spricht denn lautesten der Männer
aber, mit all der Kraft die sie hat zur Freundlichkeit bemüht an. „Entschuldigung.
Es war nicht meine Absicht zu lauschen, doch zufälligerweise hörte ich, worüber
Sie drei sich unterhalten und wollte die lustigen Sachen auf Ihrem Telefon auch
einmal sehen. Der Mann ist so dumm und betrunken wie er aussieht, er reicht
Tina tatsächlich sein Telefon und was sie da sieht lässt sie all ihre
Zurückhaltung vergessen. Tinas Augen
weiten sich, ich könnte schwören, dass ich Flammen darin auflodern sehe. Was
heißt auflodern, Tinas Augen sind plötzlich Flammenwerfer, ach was, Drachen,
bösartige, feuerspeiende Drachen. Ich versuche zu retten, was zu retten ist und
renne zu ihr, doch zu spät. Tina zerbricht das hässliche iPhone mit dem noch hässlicheren Inhalt einfach so in ihren zwei Händen. Ich hätte nicht einmal gedacht,
dass das möglich wäre.
Der Besitzer lacht nun nicht mehr und auch seine beiden gewaltbereiten Freunde
sehen Tina und mich wütend an. Man muss den dreien lassen: Sie sehen plötzlich gar
nicht mal so ungefährlich aus. Die drei Männer stehen auf. „Du Tina“, sage ich,
ohne meine obere und untere gebisshälfte voneinander zu lösen. „Ich glaube wir
sollten jetzt wirklich gehen…“
Der Vorteil am Abtaun ist, dass man jederzeit verschwinden kann, weil man seine
Getränke dort standardmäßig sofort bezahlt. Und genau das tun wir jetzt:
Verschwinden.
Wir rennen aus der Tür, eine kleine Treppe hoch, die Typen sind dicht an uns
dran. Offensichtlich verleihen nicht nur Red Bull, sondern auch diverse andere,
insbesondere alkoholische Getränke Flügel oder zumindest Höchstgeschwindigkeiten,
welche wir zu erreichen nicht imstande sind. Und ich bin mir sicher, das wars,
jetzt werde ich gevierteilt und Tina wird einer Schändung epischen Ausmaßes zum
Opfer fallen. Tina fängt an zu schreien…
„VELVET, FASS!“ Ich frage mich, ob sie jetzt, in all der Panik durchdreht, doch
als da aus der Ferne gerade ein Hund auf uns zu gerannt kommt begreife ich,
dass nicht ihr Verstand zu wünschen übrig lässt sondern meine Sehstärke. Ein
immer größer werdender Hund rennt zunächst auf uns, dann aber auf die drei
wütenden Herren zu und diese scheinen zu begreifen, dass der Hund
offensichtlich zu dem Mädchen gehört, welches eben noch vor ihnen wegrannte,
jetzt aber dasteht und die drei böse über ihre Schulter hinweg anfunkelt. Man
kann es ihnen nicht verübeln, denn auf Menschen, die Velvet nicht kennen, kann
dieses Tier schon einen respektablen Eindruck machen…
Die Typen rennen vor Velvet weg zu einem Wagen, der offensichtlich einem der
Herren gehört, springen hinein und der Fahrer tritt das Gaspedal durch. Irren
mich meine Augen schon wieder, oder hat der Wagen zwei kaputte Reifen?
„Was war das denn für ne Show?“, fragt Micha, offensichtlich schwer verwundert. „Sie,
mein Herr“, antwortet Tina „haben soeben
zwei wunderschönen Menschen das Leben gerettet!“
„Naja, wenn überhaupt war‘s eigentlich der Hund…“, antwortet Micha.
„Stimmt“, antworte ich.
„Hm“, antwortet Tina.
„Gehen wir jetzt wieder rein?“, frage ich
hoffnungsvoll.
„Klar, darauf müssen wir trinken!“, sagt Tina und geht voran.
Drinnen freut sich der Besitzer über Tinas Heldenmut und die weiteren Getränke des
Abends gehen aufs Haus. Für Velvets Anwesenheit macht der glückliche Besitzer
eine Ausnahme. „Sag mal…“, sage ich, zu Micha gewandt, „hab ich mir das
eingebildet, oder hatte der Wagen an einer Seite zwei platte Reifen?“
„You got
me“, sagt Micha. Bin an dem Auto entlangspaziert als ich herkam um Velvet
abzuliefern. Hab durch Zufall die Habseligkeiten des Besitzers im Wagen gesehen
und dann, nicht mehr ganz so zufällig, den Heckscheibenaufkleber in
Frakturschrift. Hab mir gedacht, dass man so viel nicht falsch machen kann,
wenn man dafür sorgt, dass er seinen Satz Reifen einfach mal komplett erneuert.“
„Zufälle gibt’s“, sagen ich und Tina gleichzeitig.
„Darauf prost, liebe Anwesende“, sagt Micha und wieder leeren sich drei Gläser.
© Artwork by 'IngeHiske' (http://ingehiske.deviantart.com/)