Mittwoch, 23. Oktober 2013

Actio libera in causa

Lorem ipsum, du Fotze. Weis mir das mal nach. Und wie ich um die Häuser ziehe, dunkler noch gekleidet als die Nacht in der ich mich bewege, die Kippe im Mund, ich konnte Raucher noch nie leiden. Das Feuerzeug von ver.di, Arbeitnehmer schützen, mit Lungenkrebs. Verlogene Hurensöhne. Die Kippen gratis, was nicht heißen soll, dass sie nicht geklaut sind.

Da ist diese Frau, um die 100 Meter vor mir. Versucht ihr Unbehagen zu vertuschen, ihr beschissenes Unbehagen. Ihr Unbehagen, welches mich einen Dreck interessiert. Wenn ich nichts vor hätte, dann hätte sie in 100 Metern ein Problem. Generell eine interessante Zeitangabe. Gleich läuft sie an mir vorbei. Wie sie ihren Blick abwendet, als sie glaubt, dass ich ihn bemerken könnte. Ich schnipse ihr die Kippe zu, natürlich läuft sie weiter, hätte nicht erwartet, dass sie den Mut hat, zu protestieren. Der Dresscode black führt des Nachts stets zum Respekt. Natürliche mache ich mir eine neue an. Du bezahlst.

Niemand braucht Straßenbahnen. Es dauert vielleicht eine halbe Stunde, genieße deinen Schlaf, er wird kurz. Eine Telefonzelle. Nachher mindestens 3 Telefonzellen. Sicherheitsglas ist etwas anderes. Westware hält eben nichts aus. Glotz nicht so, sonst bist du drei Nachtwanderer. Natürlich glotzt er nicht, Gründe schon genannt.

Noch eine Straße. Tät ich kotzen wenn ich wüsste was gleich kommt. Du wolltest ja unbedingt einen Balkon. Ich hab doch gesagt, dass ich gut klettern kann. Noch einmal tief Luft holen, das übersteigt alles bisher Dagewesene. Ich dachte ich muss Lärm machen, aber unnötig, das Durchgangsfenster ist angewinkelt und meine Mitbringsel reichen aus, um die Tür auszuhaken. Süß, wie sie nun an einer Ecke hängt. Wird von Innen wieder berichtigt. Sieht aus wie neu. Hat mir einiges an Stress erspart. Ich weiß wo dein Schlafzimmer ist.
Die Tür geht sehr leise auf, der Mond scheint auf dein Bett. Leer. Für einen Moment werde ich unendlich wütend. So viel Pech kann niemand haben. Vielleicht im Wohnzimmer? Ungewöhnlich für dich. Im Flur überrascht mich plötzliches Licht. Du schaust mich entgeistert an, was sich steigert, als meine Hand deine beschissene Kehle umfasst. Zunächst an die Tür zum Badezimmer gedrückt, dann auf den Boden geworfen, einige Tritte, meine Hand zieht dich an deinem Hals wieder nach oben, werfe dich ins Wohnzimmer. Du heulst, du weißt was kommt. Selbst schuld, Miststück. Und mein Fuß tritt auf dein Gewimmer, nach dem dritten oder achten Mal gibst du endlich Ruhe.

Als ich fertig bin siehst du anders aus. Dein Haar ist verklebt, nicht nur vom Blut, ich kann deinen Blick nicht ertragen. Wollte schon immer mal darauf einschlagen, das ist die Gelegenheit. Je öfter ich treffe desto matschiger das Geräusch, ich würde mich schämen!

Wohin mit dir, jetzt wo du nicht mehr gebraucht wirst? Die Idee kommt schnell. Die Schienen. Ohnehin habe ich weder Zeit noch Lust deinen Körper weiter als unbedingt nötig zu schleifen.

Aus sicherer Entfernung warte ich ab, als doch tatsächlich dieser Spinner vorbei kommt und dich bemerkt. Ich ergreife ihn von hinten, mein Notfallwerkzeug durchdringt problem- und lautlos seinen Hals. Ab ins Gebüsch mit ihm, jetzt aber schnell nach Hause, durch dunkle Straßen, am besten durch den Hintereingang ins Gebäude.

Mal sehen, was ich morgen darüber denke, wenn ich ausgenüchtert bin. 



© Artwork by 'Brett1982' (http://brett1982.deviantart.com/)

Donnerstag, 15. August 2013

Die WG - Dienstag

Micha.

Wen interessieren schon Uhrzeiten. Es ist Nachmittag und der Unterricht vorbei. Der richtige Stress beginnt erst jetzt, als ich auf meinem Bett liege, die Zimmerdecke anstarre und überlege, was ich mit all der freien Zeit die mir heute gegeben ist anstelle. Die Optionen erscheinen schier endlos. Ein Mittagsschläfchen? Meine Zeit am Rechner verlauern? Eine der zahllosen Spielekonsolen, welche sich in diesen 4 Wänden aufhalten in Betrieb nehmen? Aus dem Fenster starren? Okay, das fällt raus, ich bin ohnehin zu faul, jetzt die Vorhänge beiseite zu schieben.

Immer dieser Entscheidungszwang. Vielleicht sollte ich Rabe oder Erik Gesellschaft leisten? Wobei: Besser nicht. Der eine schläft noch und der andere schon. 
Immer, wenn mich solche Momente plagen, greife ich nach meinem Smartphone und schaue, ob es dort irgendwelche Neuigkeiten gibt. Als Angehöriger der Generation Facebook hat man natürlich immer Angst, irgendetwas zu verpassen.
Als meine Hand die Oberfläche meines Nachtschrankes erreicht, auf welchem sich mein Smartphone standardmäßig befindet, und dort nach mehrmaligem blindem Herumfühlen leider kein Mobiltelefon auffinden kann, erinnere ich mich an das gestrige Dahinscheiden dieses Peripheriegerätes. Hatte mich schon gewundert, warum ich heute im Unterricht so aufmerksam war…

Während ich also nichtstuend und nichtsahnend vor mich hindöse löst plötzlich ein Fingerschnips Gottes mein Problem. Der Heiland kann sich meine Zeitverschwendung nicht länger mit ansehen und schickt einen seiner Boten, um mich von meiner Untätigkeit zu  erlösen.

Es klingelt an der Tür. Zunächst überlege ich, ob meine Faulheit stärker ist, als mein Tatendrang. Dann wird mir klar, dass sich diese Frage eigentlich von selbst klärt, jedoch jeder andere Mensch in dieser Wohnung schläft und ich somit der einzige bin, der für Ruhe sorgen kann.
Ich schäle mich aus meinem Bett, schiebe die nur angelehnte Tür mit meinem Kopf auf und gehe zur Wohnungstür. Vorsichtig wie ich nun einmal bin schaue ich aber zuerst durch den Türspion, bevor ich potentiellen Massenmördern und/oder Männern von der GEZ die Pforte öffne.
Was mich da durch das kleine Loch anstrahlt, lässt mich die Tür aber frei von jeglicher Furcht aufreißen.

Auf dem Flur steht ein rothaariges Mädchen. Es trägt (m)eine Collegejacke, Turnschuhe, gewohnt wenig Kosmetikprodukte, ein orangefarbenes Shirt mit einer orangefarbenen Orange und dunkelblaue Röhrenjeans. In ihrer Hand hält sie eine rote Lederleine und am Ende der Leine befindet sich der Hals eines lächelnden schwarzen Beaucerons.

„Hallo Tina“, sage ich, müde grinsend. Tina umarmt mich und betritt mit Velvet die Wohnung. Tina ist so etwas wie die Gallionsfigur dieses Schlachtschiffes von einer WG. Ein gern und oft gesehener Gast mit größtmöglichem Beliebtheitsfaktor. Das hat mehrere und weitere, für jeden Bewohner der WG verschiedene Gründe. Velvet, ihre Hündin, erfreut sich einer ähnlich großen Beliebtheit. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie so gut wie kaum Haare hinterlässt, wenn Tina sie wieder mitnimmt.

Aber auch sonst ist Velvet ein besonders tolles Tier. Da Tina über ein großes Maß an Humor, Geduld, Zeit und vor allem Tierliebe verfügt, hat sie Velvet diverse Befehle beigebracht. Velvet setzt sich, legt sich hin, rollt sich auf dem Boden und macht Männchen bzw. Weibchen. Da das an sich noch nicht sonderlich lustig wäre, hat Tina ihr unter anderem ein weiteres, besonderes Kommando beigebracht. Velvet hört auf das Kommando ‚Fass!‘. Damit erschrecken Tina und ich gerne andere Menschen, denn ruft man Velvet ‚Fass!‘ zu und zeigt auf jemanden, dann rennt sie auf diese Person zu, bleibt vor ihr stehen und legt sich auf den Rücken, in freudiger Erwartung darauf, von ihrem Gegenüber auf dem Bauch gekrault zu werden. Leider müssen so gut wie immer Tina oder ich diesen Part übernehmen, weil die betroffenen anderen Menschen längst schreiend geflohen sind. Man kann es ihnen nicht verübeln, denn auf Menschen, die Velvet nicht kennen, kann dieses Tier schon einen respektablen Eindruck machen…

„Die anderen schlafen gerade, lass erst mal in mein Zimmer gehen, okay?“, frage ich rücksichtsvoll leise und Tina nickt mir zu und folgt mir. Selbst Velvet scheint sich Mühe zu geben, sich möglichst leise zu bewegen.
Ich schließe meine Zimmertür von innen und Velvet legt sich auf meine Couch und schließt ihre Augen. Sie liebt meine flauschige Couchdecke.

Was nun folgt, ist einer der persönlichen Gründe, warum ich Tina so schätze.
„Wollen wir was zocken?“,  fragt sie mich. Ich schaue etwas niedergeschlagen. „Was ist denn los?“
„Naja, ich hab doch letztens mit Erik gespielt und du weißt ja wie er so reagiert, wenn er meint, das Spiel hätte ihn unfair behandelt. Dieser Haushalt hat somit nur noch einen, genauer: meinen Controller. Der von Rabe liegt bei einem seiner Mitstudenten, er verlieh ihn mit den Worten: ‚Brauchen wir eh erst mal nicht, haben ja nur 2-Spieler-Spiele, da reichen doch fürs Erste 2 Controller aus.‘, ich wünschte er hätte gewusst, dass er da bestimmte Faktoren, beziehungsweise Mitbewohner, berücksichtigt hätte…“
„Ja, und? Weiß ich doch, hat er mir selbst erzählt. Hab meinen eigenen dabei. Sicherheitshalber habe ich auch das ein oder andere Spiel mitgebracht, such dir einfach was aus!“ und sie reicht mir ihre Tasche. Wir probieren diverse Softwareperlen durch, bilden perfekte Teams in kooperativen Spielen und unerbittliche Blutfeinde, wenn es darum geht, uns in anderen Spielen gegenseitig fertig zu machen.
Am Ende kann man grob überschlagen sagen, dass die Ergebnisse einen Gleichstand aufweisen. Dummerweise spreche ich die Gleichstandsache laut aus und sowohl Tina als merkwürdigerweise auch Velvet funkeln mich knurrend an. „Fass!“ sagt Tina böse, und bedeutet Velvet den Weg in meine Richtung anzustreben...


Rabe.

Ich hatte einen Traum. In meinem  Traum lebte ich in einer WG und meine Mitbewohner hatten exakt denselben Schlafzyklus wie ich. Dann erwachte aufgrund lauten Gelächters aus dem Zimmer gegenüber von meinem. Der leere Flur dazwischen vermag die Schallwellenarmee nicht aufzuhalten, welche mir den überraschenden Krieg erklärt. Ich springe auf, im Flur schnappe ich mir auf dem Weg zum Feind noch eben den Baseballschläger meines Krach machenden Mitbewohners, der dort herumsteht, falls doch einmal jemand vergisst, durch den Türspion zu gucken und versehentlich so einen GEZ-Peter hereinlässt. Dann stürme ich durch die Tür.

„Zwanziguhrdreißigduhu.. Oh, hy Tina!“ Ich verstecke die Holzkeule hinter meinem Rücken. Velvet springt vom Sofa, rennt hinter mich, schnappt mir das Instrument aus den Händen und rennt damit auf den Flur. Ich nehme an, sie glaubt, ich wolle mit ihr spielen. Jetzt fühle ich mich ein wenig schuldig.
„Na, schon wach, Rabe?“, fragt mich Tina lächelnd und ich antworte ihr mit „Meine Sympathiesensoren haben sich gemeldet und da dachte ich mir, ich schau mal nach. Ist schließlich ungewöhnlich, dass die mich in dieses Zimmer rufen.“
„Ja, danke, das war subtil“, sagt mein Mitbewohner.
„Du solltest wirklich ein wenig freundlicher gegenüber Micha sein! Dank Erik wirst du vorerst mit seinem Controller spielen müssen“, sagt Tina gespielt böse. „Danke Tina, ganz besonders für das In-Schutz-nehmen eines männlichen Menschen als Frau, wirklich gut für mein Ego..."

„Ich glaube, mein Hund möchte sich, dank deines Einflusses, jetzt sportlich betätigen. Schade eigentlich, wollte dich gerade, jetzt wo du wach bist, fragen, ob wir jetzt was machen wollen… So, bei dir und so…“
Weil Micha nicht Nachtragend ist und seine beiden Mitbewohner wie Brüder liebt, rettet er die Situation. „Ich geh gerne mit Velvet raus, außerdem bin ich mit gerade ohnehin in Führung gewesen.“ Warum schaut sie ihn denn plötzlich so grimmig an?

Velvet geht mit Micha Gassi. Wer da wen an der Leine hat, lässt sich wirklich nicht so genau sagen.

Tina und ich verlassen das fremde Zimmer und suchen meines auf. Tina kommt also in mein Zimmer. Tina kommt in meinem Zimmer. Kurz vor mir kommt Tina. In meinem Zimmer. „Hallo? Cpt. Tina an Sgt. Rabe? Würdest du mir bitte mal sagen, wo du schon wieder in deinen Gedanken herumflanierst?“, fragt Tina, als ich eine ganze Weile Stumm neben ihr liege. Auf meiner wie immer ausgeklappten Schlafcouch sehen wir uns auf meinem Laptop gestreamte Filme an. Dabei kritisieren wir natürlich heftig die schlechten schauspielerischen Leistungen der Akteure, die teilweise miserable Auswahl des Soundtracks und natürlich den Film per se. Dass Tina dabei an perfekt ausgewählten Termini unseres Soziolektes nicht zu sparen weiß, ist ein persönlicher Grund für mich, Tina ganz besonders zu mögen. Nach 2 durchschnittlichen Filmen -das skandinavische Kino ist eine Sache für sich- überkommt mich allerdings schon wieder die Müdigkeit. Tina merkt das, sagt, dass das absolut kein Problem wäre und sie ohnehin noch mit Erik was trinken gehen wollte und verabschiedet sich von mir mit einem dahingesummten Schlaflied, während sie mein Zimmer verlässt.


Erik.

Ist es noch oder schon dunkel? Verlasse das Bett und taste nach dem Lichtschalter. Als ich ihn finde und mehrmals betätige fällt mir ein, dass ich die Glühbirne vor Wochen wechseln wollte. Naja, mach ich dann wohl morgen. Vielleicht. Muss jetzt auch so gehen. Ich finde nach kurzer Suche meine Tür samt Klinke und durchschreite Nachtblind die Pforte. Irgendwie ging die Tür auch schon mal leichter auf. Geblendet von all dem Licht auf dem Flur brauchen meine Augen einen Moment, um den dunklen Klumpen auf dem Flurboden zu identifizieren. Offensichtlich kann er sprechen. „Aua. Guten Morgen Erik!“ Diese Stimme kommt mir sehr vertraut vor, mit sorgfältig gewählten Worten möchte ich aber auf Nummer sicher gehen. „Wer isn da?“ Meine Finger reiben über meine Augen.
„Man, man… es ist fast zwölf!“
„Komischer Name, warte ma. Tina? Hallo!“
Langsam erkenne ich sie deutlich.
„Ja hallo!“ Ich helfe ihr hoch.
„Wollte dich fragen ob du Lust hast, was trinken zu gehen.“, sagt sie, während sie ihren Hintern reibt, auf welchen sie wohl eben gefallen ist. „Du bezahlst, du bestimmst…“
Mein Finanzstatus verbietet mir mal wieder, Teil der Spaßgesellschaft zu werden und das versuche ich Tina durch diese Worte klarzumachen. Dann aber geschieht etwas, womit ich nicht zu rechnen gewagt hätte. Tina benutzt Worte, die magischer sind, als alles was David Copperfield jemals von sich gab.
„Kein Problem“

Habe ich mich verhört? Spricht der Herrgott durch die Lippen dieser jungen Schönheit? Ist es Zeit, doch damit anzufangen, die Bibel-PDF, die ich mir einmal interessehalber raubkopierte, um mit den darin enthaltenden Sprüchen zu klugscheißen, zu lesen? Was geschieht hier? „Ganz im Ernst, hab meiner Tante erzählt, ich hätte Geburtstag.“ Ich kann zwar nicht gutheißen, dass Tina der dementen Schwester ihrer Mutter permanent von ihrem ständig angeblich stattfindenden Geburtstagen erzählt, andererseits hatte die gute Frau aber zu mental gesunden Zeiten jemanden zu physisch ungesunden Zeiten geheiratet, dem es finanziell deutlich besser als gesundheitlich ging.

„Na wenn das so ist. Abtaun?“ Das Abtaun ist eine sympathische, günstige und familiäre Kellerkneipe unweit unserer WG. Sein Besitzer und dessen Mitarbeiter sind angenehm im Umgang und sein Name soll wohl lustig sein und eine Art Anglizismus bilden. „Dumme Frage“, sagt Tina, womit sie auch irgendwie Recht hat. Erstens gehen wir nie irgendwo anders hin, zweitens ist es wie bereits erwähnt recht preiswert dort, was die Getränke angeht und drittens sind wir ohnehin zu faul, weiter als bis dahin zu laufen. Außerdem kennen wir kaum Lokalitäten, welche an Wochentagen so lange geöffnet haben, wie das Abtaun.

„Heute gar keinen Hund dabei?“, frage ich. „Micha ist mit Velvet unterwegs. Weißt doch, die beiden mögen sich, man weiß nie wann die wieder auftauchen, ich lass einfach einen Zettel da, dann kann er Velvet später noch vorbeibringen, oder er lässt sie einfach hier schlafen, aber damit er weiß wo ich bin und so…“ Ich mag Velvet. Toller Hund, gibt sogar Pfote wenn man ‚Zahltag‘ sagt.

Im Abtaun angekommen bestellen wir die üblichen Getränke. Tina bekommt zeitgleich eine Club-Mate, einen Long Island Iced Tea und ein Bier und ich bekomme, naja, zunächst einmal drei Bier.
Tina fragt mich etwas frech, was ich derzeit so mache. „Jobsuche“, sage ich kurz, kann aber einfach nicht anders als dabei etwas zu lachen. Auch Tina scheint Probleme damit zu haben. Im weiteren Verlauf dieses Gespräches sprechen wir über alles Mögliche. Oft kommen wir dabei auf lustige, absolut dämliche oder total Spannende gemeinsame Erlebnisse aus der mehr oder weniger entfernten Vergangenheit zu sprechen. Dabei bestellt Tina immer wieder Shotgetränke und wir trinken auf diese Erfahrungen. Je nachdem, ob es lustige Erfahrungen waren oder traurige lachen wir dabei oder spielen theatralisch niedergeschlagen. Ein weiterer Vorteil des Abtauns ist, dass wir das gesamte Team dort kennen, demzufolge verzeiht man uns auch, wenn wir uns hin und wieder etwas zu laut aufführen. Ein Tisch in der Mitte des Lokals übertrifft unsere gelegentlich auftretende Maximallautstärke  allerdings bei weitem…

Man kann ohne große Mühe heraushören, über was sich die drei Herren so amüsieren und es widert offensichtlich die Bedienungsdame an. Auch dem Besitzer an der Bar fallen die Herren negativ auf, und es ist deutlich, dass er, wenn nicht gleich etwas sehr entschuldigendes passiert, die Männer des Hauses verweisen wird. Offensichtlich freuen sich die Typen laut darüber, dass mal wieder irgendjemand mit einer Katze Fußball gespielt hat und das Tier danach, natürlich vor laufender Kamera, auseinander genommen hat.  Als mein Blick wieder in Tinas Richtung begibt, steht diese gerade auf und mir ist sofort klar, dass nun etwas geschehen wird, über das wir bald als spannende vergangene Sache unterhalten werden, während wir darauf Shots trinken.

Tina erreicht den Tisch, sie bebt vor Wut, spricht denn lautesten der Männer aber, mit all der Kraft die sie hat zur Freundlichkeit bemüht an. „Entschuldigung. Es war nicht meine Absicht zu lauschen, doch zufälligerweise hörte ich, worüber Sie drei sich unterhalten und wollte die lustigen Sachen auf Ihrem Telefon auch einmal sehen. Der Mann ist so dumm und betrunken wie er aussieht, er reicht Tina tatsächlich sein Telefon und was sie da sieht lässt sie all ihre Zurückhaltung vergessen.  Tinas Augen weiten sich, ich könnte schwören, dass ich Flammen darin auflodern sehe. Was heißt auflodern, Tinas Augen sind plötzlich Flammenwerfer, ach was, Drachen, bösartige, feuerspeiende Drachen. Ich versuche zu retten, was zu retten ist und renne zu ihr, doch zu spät. Tina zerbricht das hässliche iPhone mit dem noch hässlicheren Inhalt einfach so in ihren zwei Händen. Ich hätte nicht einmal gedacht, dass das möglich wäre.

Der Besitzer lacht nun nicht mehr und auch seine beiden gewaltbereiten Freunde sehen Tina und mich wütend an. Man muss den dreien lassen: Sie sehen plötzlich gar nicht mal so ungefährlich aus. Die drei Männer stehen auf. „Du Tina“, sage ich, ohne meine obere und untere gebisshälfte voneinander zu lösen. „Ich glaube wir sollten jetzt wirklich gehen…“

Der Vorteil am Abtaun ist, dass man jederzeit verschwinden kann, weil man seine Getränke dort standardmäßig sofort bezahlt. Und genau das tun wir jetzt: Verschwinden.
Wir rennen aus der Tür, eine kleine Treppe hoch, die Typen sind dicht an uns dran. Offensichtlich verleihen nicht nur Red Bull, sondern auch diverse andere, insbesondere alkoholische Getränke Flügel oder zumindest Höchstgeschwindigkeiten, welche wir zu erreichen nicht imstande sind. Und ich bin mir sicher, das wars, jetzt werde ich gevierteilt und Tina wird einer Schändung epischen Ausmaßes zum Opfer fallen. Tina fängt an zu schreien…

„VELVET, FASS!“ Ich frage mich, ob sie jetzt, in all der Panik durchdreht, doch als da aus der Ferne gerade ein Hund auf uns zu gerannt kommt begreife ich, dass nicht ihr Verstand zu wünschen übrig lässt sondern meine Sehstärke. Ein immer größer werdender Hund rennt zunächst auf uns, dann aber auf die drei wütenden Herren zu und diese scheinen zu begreifen, dass der Hund offensichtlich zu dem Mädchen gehört, welches eben noch vor ihnen wegrannte, jetzt aber dasteht und die drei böse über ihre Schulter hinweg anfunkelt. Man kann es ihnen nicht verübeln, denn auf Menschen, die Velvet nicht kennen, kann dieses Tier schon einen respektablen Eindruck machen…

Die Typen rennen vor Velvet weg zu einem Wagen, der offensichtlich einem der Herren gehört, springen hinein und der Fahrer tritt das Gaspedal durch. Irren mich meine Augen schon wieder, oder hat der Wagen zwei kaputte Reifen?

„Was war das denn für ne Show?“, fragt Micha, offensichtlich schwer verwundert. „Sie, mein Herr“, antwortet Tina „haben  soeben zwei wunderschönen Menschen das Leben gerettet!“
„Naja, wenn überhaupt war‘s eigentlich der Hund…“, antwortet Micha.
„Stimmt“, antworte ich.
„Hm“, antwortet Tina.
„Gehen wir jetzt wieder rein?“, frage ich hoffnungsvoll.
„Klar, darauf müssen wir trinken!“, sagt Tina und geht voran. Drinnen freut sich der Besitzer über Tinas Heldenmut und die weiteren Getränke des Abends gehen aufs Haus. Für Velvets Anwesenheit macht der glückliche Besitzer eine Ausnahme. „Sag mal…“, sage ich, zu Micha gewandt, „hab ich mir das eingebildet, oder hatte der Wagen an einer Seite zwei platte Reifen?“
„You got me“, sagt Micha. Bin an dem Auto entlangspaziert als ich herkam um Velvet abzuliefern. Hab durch Zufall die Habseligkeiten des Besitzers im Wagen gesehen und dann, nicht mehr ganz so zufällig, den Heckscheibenaufkleber in Frakturschrift. Hab mir gedacht, dass man so viel nicht falsch machen kann, wenn man dafür sorgt, dass er seinen Satz Reifen einfach mal komplett erneuert.“
„Zufälle gibt’s“, sagen ich und Tina gleichzeitig.
„Darauf prost, liebe Anwesende“, sagt Micha und wieder leeren sich drei Gläser.




© Artwork by 'IngeHiske' (http://ingehiske.deviantart.com/)

Montag, 12. August 2013

Die WG - Montag

Micha.

6:30 Uhr. Mein Handy klingelt. Der Versuch ein Lied zu finden, welches ich als Weckton akzeptiere ist wieder einmal gescheitert. Die Liste meiner Lieblingslieder dezimiert sich rapide. Es ist, als würde man am APPD-Stammtisch einen sympathisch anmutenden neuen Gast mitbringen und im schönsten aller abendlichen Momente laut verkünden, dass er der braunen Brut angehört und nur hier ist, weil die Getränke so günstig sind. Spontan hasst man das, was vorher noch so sympathisch wirkte.
In Darren Aronofskys „Pi“  sagt Max Cohen immer ganz cool „Ich drücke auf Return“. Mit genau dieser Coolness und einer gehörigen Portion ‚Der frühe Wurm wird gefressen‘ drücke ich auf die touchscreendigitale Snooze-Fläche.

6:35 Uhr. Meine eigene Genialität schlägt mir ein Schnippchen. Der Wecker des Festnetztelefones in meinem Zimmer gibt dröhnend eine schrille Monomelodie von sich. Dummerweise steht das Gerät in einer mit minimalem Bewegungsaufwand nicht zu erreichenden Ecke meines Zimmers. Hausschuh #1 verfehlt sein Ziel. Hausschuh #2 ist wie immer nicht auffindbar.
Ich stehe auf. Ich kapituliere. Mein Genie hat mich besiegt.
6:40 Uhr. Ich stehe im Badezimmer vor dem Spiegel und putze meine Zähne um mein funkelndes Lächeln aufrechtzuerhalten bzw. zu retten was zu retten ist. Die Snooze-Funktion des Handys meldet sich zu Wort. Ich hasse es, wenn so was passiert.  Zurück in mein Zimmer gehen ist keine Option, das sind mindestens 5 Meter. Diesem blöden 15-Sekunden-Klingelton-Schnipsel in unendlicher Wiederholung halte ich aber genauso wenig  stand. Glücklicherweise erscheint mein Retter auf der Bildfläche. Wie ich ihn kenne und liebe, hat er auch gleich ein paar tagverschönernde Worte dabei, die er aus seinen Lippen fallen lässt.

„Bist du behindert, man?“ -ist das ein Lächeln oder ist das Wahnsinn, was sein Gesicht da formt?-  „Ich kann bis Zehn pennen, du Penner!“
„Offensichtlich nicht.“ Erdreiste ich mich zu erwidern.
„Alter, mach die Scheiße aus“ reagiert er freundlich.
„Sei so freundlich und kümmere dich darum, ja? Ich verspreche dir, keine weiteren Belästigungen, bin dann auch gleich weg.“
„Fick dich.“ Antwortet er freundlich akzeptierend, betritt mein Zimmer, verursacht ein Geräusch, welches nach Hoffnung auf Garantiefall klingt und geht wieder in sein Zimmer.

Ich betrete die Dusche und versuche aus den Unmengen leerer Duschbadverpackungen eine herauszufischen, welche noch einen rudimentären Inhalt in sich birgt. Irgendjemand muss hier dringend mal aufräumen und aussortieren. Vielleicht ist Erik ja so lieb, wenn er irgendwann einmal aus seinem Schlummer erwacht.

7 Uhr. Ich verlasse die Dusche, dann mein Adamskostüm und anschließend die Wohnung. Trotz meiner 22 Jahre bin ich auf dem Weg zur Schule. Nicht jeder macht sein Abitur auf dem geraden Weg.


Rabe.

„Sechsuhrvierzigduhurensohn“ sind meine Worte, bevor ich mich, nun den ersten Frust von mir gegeben beruhigt mit „Bist du behindert, man?“ zu gebären weiß.
Mein Mitbewohner beherrscht die Kunst, von mir gemocht, wobei... geduldet zu werden und mir trotzdem regelmäßig maximal auf die Nerven zu gehen. Die Nacht war lang. Dummerweise war der anschließende Schlaf euphemistisch gesagt kurz. Ich bin nicht Student geworden um weniger als 9 Stunden Schlaf am Tag zu haben.

Ich verfolge seinem Wunsch, für ein stillschweigendes Smartphone zu sorgen. Aufgrund der methodenoffenen Bitte ist immerhin für kreative Frustbekämpfung gesorgt. Die halbleere Club-Mate-Flasche gewinnt dein Zweikampf mit dem Display problemlos. Der Inhalt der ehemals halbleeren Flasche gewinnt wiederum den Zweikampf mit dem Inhalt des Smartphonerestes. Ruhe herrscht. Ich gehe zuerst in mein Zimmer, dann in mein Bett. Als ich dabei am Bad vorbeikomme gebe ich noch ein kurzes „Du Penner, ey!“  von mir. Meine Mutter hat mir beigebracht, stets so was wie gute Nacht zu sagen, der Anstand verlangt es.


Erik.

„Fünfzehnuhrduhurensohn“. Der MP3-Wecker fliegt schon wieder gegen die Wand. Sein vorletzter Flug. Der nächste geht Richtung Plastemüll. „Ups.“
Aufstehen ist nie geil. Da hilft auch keine selbst eingespeiste Musik und sei sie noch so gut.
Erstmal an den Rechner. Ich erwische mich dabei, dasselbe Lied anzumachen, welches eben noch das Todesurteil meines Weckers war.‘ Jimmy Eat World‘ säuseln mir ‚Lucky Denver Mint‘ in meine müden Ohren. Diese Band löst immer wieder eine gewisse Sentimentalität in mir aus. Ich bekomme Mitleid mit meinem Wecker. Vielleicht liegt das aber auch nur an seinen Kaufpreis, welches sich wirklich sehen lassen konnte. Vielleicht kann ich das ja irgendwie als Garantiefall durchgehen lassen, überlege ich, und versuche die Einzelteile aufzusammeln.

Nachdem ich vor kurzem nach dem einen oder anderen Anlauf meine Lehre abschloss, habe ich mir nun vorgenommen, mir erst mal einen Minijob zu suchen. Man soll es ja, gerade in jungen Jahren, mit der Arbeit nicht übertreiben. Gut Ding will ja auch weile haben und der Neider sieht den Garten nur, den Spaten sieht er nicht!

Diese und weitere Phrasen schwirren durch meinen Kopf und ehe ich mich versehe kommt mein lieber Herr Mitbewohner von der Schule. „Schon so spät?“ frage ich verwundert. „Guten… Morgen?“ fragt er vorsichtig. „Es ist 5 durch, jetzt erst aufgestanden?“. Ich blicke leicht schockiert auf die Uhr meines Desktops. „Nö, schon seit 3 wach!“ kontere ich lächelnd. „Oh, doch schon? Was macht die Jobsuche?“ fragt er mit einem Gesichtsausdruck der sich zwischen herausfordernd und grinsend aufhält. „Läuft!“ antworte ich, während meine Finger intuitiv nach der Windows- und der D-Taste suchen. „Sehr gut, bin dann mal drüben, ja?“ sagt er und geht in sein Zimmer.

Die letzten 2 Stunden vergingen zu einem Lied in Dauerschleife, ohne dass ich etwas aktiv davon verarbeitete. Jetzt im Netz nach Minijobs zu suchen wäre ein weiterer Schritt zur Verschwendung eines Tages. Nicht mit mir, Staat der sich für dich und deine miesen Vorstellungen von sozialen Nutzen verbiegenden Gummimänner! Ich klopfe an der Zimmertür meines Mitbewohners an und sage: „bin mal unterwegs“ und die Tür antwortet: „hmhm jaja“. Redundante Artikulation, diese Türen haben einfach keine Ahnung von simpelster Informatik…

Auch ich verlasse dann die Wohnung, allerdings zielloser als meine beiden Mitbewohner. Beides hat seine Vorteile, beides hat seine Nachteile. Ich habe meine Kippen vergessen.  




© Artwork by 'theRockSteady' (http://therocksteady.deviantart.com/)

Sonntag, 5. Mai 2013

Pfoten

Sie standen allesamt lässig an eine Hauswand gelehnt und tranken Modegetränke, rauchten Zigaretten, die nicht schmeckten und unterhielten sich über Themen, von denen niemand von ihnen wirklich Ahnung hatte, nur um Zeit sterben zu lassen.

Der Typ in der Menschenmengenmitte verzichtete auf den Tabakkonsum, war durch den Mangel an Mundfüllung allerdings auch das lauteste Organ der Gruppe. Er war es auch, der zuletzt die streunende Katze bemerkte, welche von den restlichen Anwesenden unlängst als heranpirschend wahrgenommen wurde. Die anderen kannten das Tier bereits; Eine im weiten Umkreis als zahme aber verspielte, herrenlose Katze akzeptierte Streunerin. Somit war es für die anderen nicht ungewöhnlich, dass das Tier einige Meter vor ihnen Platz nahm und die Menge beobachtete und belauschte. Nur der lauteste, ständig schwatzende Nichtraucher nahm keine Notiz von dem, für eine freilebende Stadtkatze außerordentlich gepflegten und hübschen Tier.

Vielleicht war es Neid, aus Mangel an Aufmerksamkeit, vielleicht fühlte sich der Straßentiger aber auch einfach von der Lautstärke des jungen Mannes belästigt, die Reaktion blieb allerdings dieselbe.
Ihre Pupillen verengten sich zu schmalen Schlitzen, sie ging in Angriffsstellung und das laute Dauergebrabbel des Nichtrauchers wurde zu einem erschreckten Schrei.

Die Menge lachte, als die Katze ihre Krallen zunächst in sein Bein, dann heraufkletternd in seinen Bauch und zuletzt in seine Brust bohrte. Dreist schaute ihm das Tier einen Moment, fast grinsend, in die Augen, bis es schließlich von seinen Klamotten absprang und spürbar genießend, langsam und elegant verschwand.
„Mistvieh…“ grummelte er, seine Schmerzen hielten sich aber in Grenzen, eher war der plötzliche Schock der Grund für seinen Schrei.

Einige Tage später tat er, was er öfter tat; Mit einem Buch, selbstverständlich nur als Bildungsalibi vor eventuellen Zuschauern in der Hand, lehnte er sich im Park seiner Stadt liegend an einen Baum und ließ sich von der Sonne verstrahlen. Wie immer fielen ihm bald darauf die Augen zu und er schlief ein. Sein Weckton war der Knall eines Fußballes, der seinen Kopf nur knapp verfehlte und direkt über ihm den Baum traf und zurück zu ein paar rücksichtslosen Kindern prallte. Er hasste Kinder für genau diese Eigenschaft. Als der Schall ihn weckte, zuckte er erschrocken zusammen. Seine Beine fühlten sich schwerer als gewöhnlich an, er senkte seinen Blick, um Ursachenforschung zu betreiben und fand schnell heraus, was die Masse seines Unterkörpers erhöhte.

Von seinem Zucken gestört, blickte ihn die Katze mit einem leicht genervt anmutenden Gesichtsausdruck an, legte ihren Kopf wieder auf ihre und vor allem auf seine Beine und schloss wieder ihre Augen. Zunächst wollte er das Tier wegen seinem Erfahrungswert wegscheuchen, doch es hätte ihm das Herz zerrissen, hätte er eine so hübsche, plötzlich ausgesprochen zahme Katze (abermals) in ihrer Ruhe gestört.

Vorsichtig versuchte er, das Tier ein wenig zu Streicheln. Er war sich fast sicher, dass sie ihm gleich die Hand abreißen oder zumindest ein bisschen zerfetzen würde, doch die Verlockung war für ihn einfach zu groß, nicht zu wagen, durch das weiche Fell zu streichen.
Zu seiner Überraschung blieb seine Hand in einem Stück und die Katze ließ sich sein Kraulen genüsslich gefallen. Sie wälzte sich sehr bald schon, sehnsüchtig nach weiteren Streicheleinheiten in seinem Schoß. Es gefiel dem Tier sogar so sehr, dass sie ihn, als er in der Dämmerung nach Hause aufbrach, nicht mehr allein ließ. Auch die Haustür schweren Herzens und mitleidig vor der Nase der Katze zu schließen half nichts. Sie saß dort geduldig, und war sich ihrem Sieg bereits bewusst, früher oder später hereingebeten zu werden. Sie brauchte nicht jaulen oder betteln, ohnehin wäre das Tier dafür zu stolz gewesen. Das Tier schien zu wissen, dass seine Geduld und Hartnäckigkeit größer sei, als die des Hausbewohners.

Wenig später war seine Wohnung ihr neues Zuhause und es manifestierten sich Rituale, wie zum Beispiel der nachmittägliche Spaziergang zum Baum im Park, das Streicheln, das zusammen Schlafen und das von ihm, während er sie streichelt, heimgetragen werden.
Sie fühlte sich in ihrem neuen Heim sichtlich wohl, was auch an seinem mehr und mehr geschundenen und zerstörten Bett festzustellen war, an und in welchem sie sich am liebsten austobte.

Die Monate vergingen und die beiden wurden ein Paradebeispiel für die Koexistenz von Mensch und Tier.
An einem Tag wie jedem anderen, im Park, wurde er einmal mehrdurch Fremdeinwirkung aus seinem Schlaf gerissen. Diesmal war der Störenfried allerdings nicht menschlicher Natur. Ein Hund leckte ihn ab und bewies, dass der Knabe wohl eine natürliche Anziehungskraft auf herrenlose Tiere ausstrahlte. Die Katze war von dem Hund wenig begeistert und warf eine Tatze nach ihm. Der Hund aber kläffte sie nur überlegen an, stupste sie unsanft vom Schoß des jungen Mannes und strahlte ihn an.

Ob es ihr Stolz, oder ihre Enttäuschung war, ist nicht mehr zu sagen, aber die Katze wand sich von ihrem Freund ab und ging nunmehr wieder ihrer eigenen Wege.
Vielleicht hätte er dem Hund keine Beachtung schenken sollen, vielleicht hätte er ihr hinterherrennen sollen, doch er blieb, ließ sich von dem Hund ablenken und ablecken und bemerkte das Verschwinden der nun wieder streunenden Katze nicht.

Der Hund wurde nun, als klar wurde, dass die Katze nicht wiederkäme, der neue Freund des jungen Mannes. Auch mit ihm verstand er sich gut, auch wenn des Tier eigensinniger war, als es eine Katze jemals hätte sein können. Er stellte seinen Lebensstil von Katzenhalter auf Hundehalter um und verwöhnte das Tier, wo und wie er nur konnte, vielleicht auch, um für sein Gewissen etwas wiedergutzumachen.

Der Hund war nicht immer das dankbarste Tier, allerdings war sein Mitbewohner auch nie ein professioneller Hundebesitzer. Die beiden kamen zumeist gut miteinander zurecht und wieder vergingen viele Monate. Die Katze vergaß er jedoch nie und oft bedauerte er, sie einfach so gehen lassen zu haben, als es darauf ankam, denn so vertraut, wie er mit der Katze war, würde er mit dem Hund nie werden.

Als er eines Tages mit ihm durch die Stadt spazierte, ein wenig die Geschäfte nach nichts suchend abklapperte und den Blick beim Gehen durch die Straßen stets auf die Rillen der Straßenplatten richtete, rannten zwei Katzen über die Straße, direkt auf die nächste Gasse zu seiner Rechten zu.

Eine der beiden Katzen, ein schwarz-grauer Straßenkater, flitzte auch ohne Halt zu machen in den Schatten der Gasse. Die zweite Katze blieb allerdings plötzlich vor dem Hundebesitzer stehen. Er erkannte das Tier sofort. Die Katze schaute abwechselnd, man könnte fast meinen traurig, zu ihm, zum Kater und zu dem Hund. Der Hund aber nahm überlegen keine Notiz von der Katze, doch der Mensch mit der Leine in der Hand wusste, was zu tun war.




© Artwork by 'Albino-Kittie' (http://albino-kittie.deviantart.com/)

Sonntag, 17. Februar 2013

Gutmenschen und Gewissen

All beauty must die. Diesen Satz habe ich früher ganz besonders schön gefunden. So schön, dass ich ihn erstens überall hingekritzelt habe und zweitens oftmals praktisch angewendet habe. Heute sehe ich, dass ich, zumindest damit, im Leben großen Erfolg hatte. Würde ich heute noch die Gegend mit Textverschönerungen beschmieren, so müsste ich wohl all beauty is dead schreiben…


In meiner Grundschulzeit war ich zwar ein eher verhaltensauffälliges Kind mit einer Tendenz zum mutwilligen Stören jeder Unterrichtsstunde, die von einer Lehrkraft geleitet wurde, die mir nicht sympathisch war (und das traf auf nahezu alle zu). Meine Klassenlehrerin war eine nicht sonderlich hübsche Frau mit einer strengen Stimme, die oft genug an mir verzweifelte. Während den 2 letzten Grundschuljahren, die ich mit dieser Lehrerin verbrachte habe ich sie verachtet. Jeder Unterricht bei ihr war für mich eine Qual. An irgendeinem Tag gegen Ende des letzten Grundschuljahres kam es zu einem Vorfall. Ich weiß nicht mehr genau was geschah, aber fest steht, dass für irgendeine Tat ein Schuldiger gesucht wurde. Natürlich wurde auch ich von meiner Klassenlehrerin gefragt ob ich der gesuchte Übeltäter sei.
Ich verneinte.
Irgendein/e Mitschüler/in äußerte dann wohl ihren Zweifel an meiner Unschuld in Bezug auf den Vorfall. Meine Klassenlehrerin sagte dann einen für mich folgenschweren Satz:
„Ich weiß, dass der Junge viel Mist baut, aber er ist ein ehrlicher Mensch.“
An diesem Tag habe ich beschlossen, dass ich einmal ein guter Mensch und ein Vorbild für andere sein möchte. Nicht zuletzt auch, weil ich zum ersten Mal in meinem Leben erfuhr, wie sich ein richtig schlechtes Gewissen anfühlt…

…schließlich war ich schuld.


Als ich sowohl die Grund- als auch die Regelschule halbwegs erfolgreich hinter mir ließ, beschloss ich, in meiner neu gewonnen Freiheit mein jahrelanges Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Wie jeder Heuchler an Silvester gab ich mir Vorsätze, welche zu erfüllen ich mein Leben widmeten wollte. Sollte irgendwann einmal ein weibliches Wesen in mein Leben treten, und dieser Gedanke war seinerzeit utopisch, so würde ich selbstverständlich für immer treu sein. Sollte ich irgendwann einmal jemandem eine negative Erfahrung verdanken, so würde ich verzeihen. Dinge an mich nehmen, welche mir nicht gehören sollte natürlich auch ein großes Tabu sein. Aber das wichtigste: Ehrlichkeit.

Als ich auch den letzten dieser Vorsätze gebrochen hatte, ja sogar anfing, hin und wieder deutschen Rap zu hören, fiel ich in die anfangs beschrieben Phase. Ich war enttäuscht von mir und sah, dass es ohnehin keinen Unterschied machen würde, ob ich mit gutem Beispiel voran ginge oder mich dem Zerstören-öffentlichen-Eigentums-Mainstream anschließen würde. Die Welt würde bleiben wie sie ist. Also probierte ich natürlich auch von den Früchten der Alternative und ich gebe zu: Auf der anderen Seite kann man ungemein viel Spaß haben. Da es ohnehin ein eher unangenehmes Gefühl war, spaßloser Gutmensch zu sein, während die anderen nicht glücklicher, aber wohl auch betrunkener nicht hätten sein können, entschloss ich mich, lieber dort mitzuspielen.
Ich erinnere mich an einen Abend mit Harvey. Zuerst ‚schneite‘ es im Keller, anschließend Sprühnebel durch das Fenster meiner Lieblingskneipe. Nach drinnen. Irgendwann warfen wir den Feuerlöscher weg. Natürlich durch das Fenster eines Schulgebäudes. Später, in meiner Lieblingsbar, taten wir betroffen, als uns der Besitzer von einem Vorfall in jener Nacht erzählte. Irgendwelche Idioten hätten seine Kneipe durch das Fenster mit einem Feuerlöscher nahezu vergast. „Die Jugend, diese verdammte Jugend“ sagten wir und bestellten jeweils ein Pint. Klasse Abend.

Irgendwie war ich allerdings von keiner der beiden Seiten, ob nun gutes Vorbild oder Nach-mir-die-Sintflut so richtig überzeugt, also einigte ich mich auf den Kompromiss, ein gesundes Gleichgewicht einzuhalten. Wenn ich Lust auf Chaos hatte verabredete ich mich mit Harvey und tat, was ein junger Mann tun muss. Ich bin übrigens bis heute von der Sprengkraft osteuropäischer Pyrotechnik überrascht.
Hatte ich Lust auf niveauvolle Abendgestaltung im gehobenen Ambiente, so unternahm ich etwas mit Meltrikz, ehemaligen Mitschüler und bis heute einer meiner drei besten Freunde.

Wenn ich gerade nichts mit den Jungs unternahm, verfolgte ich den privaten Teil meines Lebens mit meiner Ausbildungszeit, Mädchen und anderen verrückten Dingen.

Während meiner Ausbildung, ich arbeitete für ein Telekommunikationsunternehmen mit magentafarbenem Logo, welches ich aus Datenschutzgründen nicht näher benennen möchte, versuchte man mir beizubringen, dass Kunden nicht als Menschen zu sehen sind, sondern als Geldquelle. Es ist nicht wichtig, ob ein Kunde genug Geld für das Produkt hat, dass man ihm aufschwatzt. Lediglich, dass er vertraglich dazu verpflichtet ist, ist relevant, das Unternehmen kommt schon an sein Geld. Was ich allerdings wirklich lernte war, dass ein Gewissen im Arbeitsalltag vieler Unternehmen eher hinderlich als von Vorteil ist.

An diesem Punkt erinnerte mich daran, was mir früher mal wichtig war und zog meine Schlüsse daraus. Vom Anfang bis zum Ende meiner Ausbildungszeit habe ich nicht einen einzigen Kunden etwas aufgeschwatzt, das er nicht ausdrücklich wollte und habe ebenso keinen Kunden belogen oder zum Kauf nutzloser Extras überredet.

Auch abgesehen vom Arbeitsalltag wurden mir alte Werte wieder wichtiger und so langsam verstand ich, dass es nie das Ziel hätte sein sollen, als guter Mensch die Welt beziehungsweise andere Menschen zu verbessern. Alles was wichtig ist, ist seinem Gewissen leben zu können, und das geht deutlicher angenehmer vonstatten, wenn man hin und wieder etwas Gutes für Andere tut oder eben ganz einfach als freundliches Individuum durch die Welt zieht.

Aber auch mit aber nicht wegen dieser Einstellung habe ich große Fehler gemacht und Menschen verletzt und unglücklich gemacht.

Jemand, der mir einmal viel bedeutet hat sagte vor nicht allzu langer Zeit über mich, ich sei „kein guter Mensch“, und vielleicht hat der Urheber dieser Aussage auch Recht damit. Vielleicht ist es aber viel wichtiger, nicht fehlerfrei durchs Leben zu gehen, sondern zu wissen, dass man einen Fehler gemacht hat und dieser Fehler einem leid tut.

Vielleicht aber auch nicht.




© Artwork by 'gwichin' (http://gwichin.deviantart.com/)