Freitag, 21. Dezember 2012

Für oder Immer bzw. das letzte Wort


Was haben wir gelacht, was haben wir gescherzt, Weltuntergang, was für ein Quatsch. Und so schauen wir aus dem Fenster und sehen in den roten Himmel, während im Haus gegenüber ein weiterer Brocken einschlägt und abgesehen von dem Gebäude auch ein paar Insassen zerfetzt.
„Das hast du ja mal wieder großartig hinbekommen, man…“
„Man tut was man kann, ich find's lustig“ sagst du grinsend, während noch ein Himmelskörper auf die Erde rauscht. „Guck ma, 'n Meteor, ich nenne ihn Alphakomet!“
„warum?“ frage ich, deutlich verwirrt.
„Weil er so schön zerscheppert ist!“ – Verstehe ich nicht, ich finde die Situation aber ohnehin zu brisant um mir über so was Gedanken zu machen.
„Ich hab so langsam das Gefühl, dass wir hier nicht mehr lebend rauskommen…“
„Wie kommst du nur darauf?“ sagst du, immer noch doof grinsend…


Flashback - 3 Stunden vor dem größten Feuerwerk der Menschheitsgeschichte

„Zufrieden mit dem Einkauf? Haben Sie alles bekommen?“ fragt mich die Verkäuferin des Supermarktes, auf deren Namensschildchen ‚Sandy‘ zu lesen steht.
„Also eigentlich habe ich gar nichts bekommen, schließlich muss ich den ganzen Kram ja selbst bezahlen, unter "Bekommen" verstehe ich das Erhalten einer Sache oder eines Rechtes, ohne dafür Finanzen aufwenden zu müssen. Daher: Nein, ich habe nicht alles bekommen, ich habe gar nichts bekommen. Und ob ich zufrieden bin? Ich gehe an einem Freitagnachmittag einkaufen und Sie fragen mich ob ich zufrieden bin? Gute Frau, mit Verlaub, die Menschen rennen hier durch, rücksichtslos und ungestüm als gebe es kein Morgen mehr, ja als wäre heute Weltuntergang, Weltuntergang, verstehen Sie? Kleiner Scherz am Rande aber zufrieden bin ich trotzdem nicht, mir versaut nur nichts so schnell die Laune.“
Sie gibt mir den Kassenzettel und wendet sich dem nächsten Kunden zu. Ganz schön unhöflich…
Auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums stelle ich fest, dass mich ein Wagen, offensichtlich das Fahrzeug einer Frau, denn darin befinden sich unzählige rosafarbene Accessoires, derartig dreist  zugeparkt hat, dass ich größtmögliche Fahrgeschickskills anwenden muss, um aus dieser Sache schadenfrei herauszukommen. Leider habe ich solche Fähigkeiten nicht, deswegen hat der Damenwagen mit dem Nummernschild L-IM 006 jetzt mehrere Beulen und einen chicen (Anm. 655321: Dieses Wort sieht furchtbar aus, aber ich weigere mich die sch-Version zu nutzen. Schon aus Prinzip!) langen Kratzer auf der Seite.
In meiner WG angekommen reißen Christian, Erik und mein Lieblingsmitbewohner, dessen Namen ich aus Gewohnheit längst vergessen habe und deswegen nur noch mit Rabe anspreche, weil er gerne vom Balkon aus Hülsenfrüchte auf die Straße wirft, nur um zu sehen wie die Autoreifen sie knacken, schon wie kleine Vögelchen im Nest die Schnäbel auf.
„Ja, Mama hat Essen mitgebracht!“ sage ich mit dem Unterton eines Mannes, der das Gefühl hat, dass er seit Monaten den Einkauf und die gesamten Kosten dafür übernimmt, was aber tut man nicht alles für seine Lieben…
„Wieder keine Tiefkühlpizza?“ fragt Rabe dreist, auch Erik schaut sichtlich enttäuscht, Christian hingegen stürzt sich kommentarlos auf die Cornflakespackung.
Ich liebe meine Mitbewohner…
Chris ruft an und verabredet sich zu einer der vielen Weltuntergangspartys heute Abend mit mir, meine Abendgestaltung ist gerettet.
„Du…“ sagt Rabe und tippt mir auf den Rücken.
„Ja, bitte?“
„Wetten, wenn ich von jetzt an die nächsten drei Stunden unüberhörbar Gotteslästerung betreibe, wird dein Weltuntergangspartybesuch ein ganz besonderes Erlebnis?“
„Spinnst du? Aber gut, mach halt, ich freu mich schon drauf dir in 3 Stunden eine SMS schrieben zu dürfen, Wortlaut: ‚180 Minuten Moral, Niveau und Würde auf ein Mindestmaß reduziert, Gratulation!‘“
„Du wirst schon sehen“ sagt er und lacht doof.
„…Ich geh noch eben zu Patrick, der verteilt heute alkoholfreie Cocktails an alle Hobbyautoren mit außergewöhnlichem Talent und astreiner Optik, gepaart mit einer gehörigen Portion Charisma…“
„Und Narzissmus!“
„Ach fick dich…“
Ich klingle an Patricks Tür und bemerke den neuen Wagen vor seiner Tür, elegant geparkt vor seinem VW Käfer, den er sich aus Gründen des Kultes erst vor wenigen Monaten angeeignet hat, tja, der Junge hat’s geschafft. Es hat Vorteile stinkreiche Freunde zu haben, aber dieses Thema möchte ich an dieser Stelle gar nicht weiter ausschmücken, denn sonst müsste ich die Schulden erwähnen, die ich bei ihm habe…
Er öffnet mir im seidenem Bademantel. Ich erkenne unschwer dass sich unter dem Bademantel lediglich ein Adamskostüm befindet. Auf seiner Nase sitzt kess eine Sonnenbrille und links und rechts neben ihm stehen seine aktuellen Verehrerinnen Susi und Friederike. Beide gleichen ihre wenig sagenden Namen durch ihre vielsagende Optik wieder aus.
„Tritt ein, Bursche, und fühle dich wie Zuhause, nur eben luxuriöser und gepflegter!“
„Ich hasse dich…“ sage ich und betrete sein Haus, seinen Flur und anschließend sein Wohnzimmer.
„Möchtest du etwas trinken?“ fragt Patrick mich.
„Du hast gesagt du bietest mir alkoholfreie und dennoch gar köstliche Cocktails an, welche in mir karibische Träume erwecken, was meinst du wohl, wie ich deine Frage nun zu beantworten gedenke?“
„Ah, ich verstehe, nun gut, genug der verschwendeten Zeit!“
(Das Gesprächsniveau und das Vokabular nehmen stets ungeahnte Ausmaße an, wenn Patrick und ich aufeinandertreffen…)
Er klatscht zweimal in die Hände und ruft „Enrico!“
„Enrico!?“
„Mein neuer Buttler, du weißt doch, wer hat, der kann!“
„Große Worte für jemanden, der vor nicht allzu langer Zeit noch in regelmäßigen Abständen das Arbeitsamt sowohl besucht als auch verarscht hat.“
„Ach, Schnee von Vorvorgestern, seit dem Vertrag mit [Dass hier keine stinkreichmachende Firma erwähnt wird schiebe ich auf die GEMA, die Sau] spielt Geld doch keine Rolle mehr! Was meinst du wie die Tante vom Amt geguckt hat, als ich ihr den lilafarbenen Schein vor die Nase gelegt habe, umschnürt mit einer Packung Milka-Herzchen und sagte ‚danke, dass sie mich solange und so freundlich durchgebracht haben, ohne dass ich auch nur einmal arbeiten musste!‘“
„Tja, in dir schlummerte eben ein Ausnahmetalent, das raus wollte und musste“
„Und in dir schlummert es immer noch“
„Ja, aber ich behalte es solange da drin, bis ich von einem deutschen Autor höre, der in wenigen Wochen zum Millionär wurde“
„Wie ich?“
„Wie du.“
„Wo bleibt denn dieser faule Nichtsnutz? ENRICO!“
Und auf sein Wort erscheint ein gepflegter junger Mann… In einer offensichtlich für Damen gewebten Schürze.
„Du lässt zu dass er solch einen Geschmacksfauxpas trägt?“
„Ich lasse zu? Ich zwinge!“
„Das ist barbarisch…“
„Wer hat der kann!“
Auf dem Weg zurück nach Hause treffe ich Kat, in den Händen prall gefüllte Tüten mit Weihnachtseinkäufen. Gentlemenlike ziehe ich meinen Hut vor ihr zurecht, grüße sie, nehme ihr die Taschen ab und geleite die reizende junge Dame nach Hause. An ihrer Wohnungstür bedankt sie sich lächelnd, gibt mir ein Küsschen auf die Wange und versüßt meinen Tag damit. „Magst du noch auf ‚nen Kaffee mit reinkommen?“ fragt sie kess lächelnd, aber leider muss ich ablehnen, denn die Weltuntergangsparty rückt leider immer näher und ich muss so langsam nach Hause um mich fertigzumachen. „Ein Andermal, aber dann gerne, übrigens ist mir Tee dann doch lieber, bis bald dann!“ Sie winkt und lächelt mir hinterher. Ein nettes Mädchen!
Immer noch auf dem Weg nach Hause hupt neben mir auf der Straße ein Wagen und holt mich aus meinen Tagträumen. Aus dem inneren des Wagens winken Anni und Romy. Leon sitzt auch im Wagen, spielt aber an seinem iPhone rum und registriert deswegen nichts vom Rest der Welt um sich herum. „Sollen wir dich ein Stück mitnehmen?“ ruft Anni, und natürlich lehne ich dieses freundliche Angebot nicht ab und lasse mich gen Heimat chauffieren.
Zuhause angekommen bedanke ich mich höflichst bei den beiden, umarme alle 3 Wageninsassen einmal ganz lieb und wünsche alle schöne Feiertage. Als ich von draußen nochmal in den Wagen erkenne ich auf Leons Gesicht Verwunderung. Ich glaube er weiß nicht, dass ich eingestiegen bin, soeben noch neben ihm saß und wohl auch nicht, wer ihn eben umarmt hat. Was er aber weiß ist, dass sein iPhone immer noch in seinen Händen ist. Dieser Fakt lässt ihn wieder lächeln und erneut ins Smartphonedelirium versinken. Netter Junge.
Als ich die Haustür unserer Mietskaserne aufschließen will stürmt mir das Nachbarskind, der kleine Jannis entgegen und rennt mich fast um. „Tschuldigung! Aber ich jage den Bieber!“. Ich habe keine Ahnung wovon der Junge da spricht, aber er rennt seinem Goldhamster hinterher.
Die Wohnungstür fällt hinter mir ins Schloss und als ich das Wohn- bzw. Gemeinschaftszimmer betrete steht da immer noch Rabe, den Kopf Richtung Himmel gerichtet und am laufenden Band gegen den Allmächtigen witternd und fluchend.
„Echt jetzt? Du ziehst das seit… Lass mich nachsehen… zweieinhalb Stunden durch?“
„…MachdochdrecksmistgotttraustdichjaehnichtichhabekeineAngstduLappenduhastdochehnichtdieEierputtputtputtfeigesHühnchen…“
„Junge, Junge, Junge… kannst du das nicht in deinem Zimmer tun?“
„…Arschdrecksmistdeppidiotvollspastikotzbrang….“
„Kotzbrang? Seit wann nutzt du Worte vom Großmeister der deutschen Autoren?“
Selbst jetzt nimmt er sich keine Pause, er bleibt konsequent, und das obwohl er, im Gegensatz zu mir, nicht die Meinung vertritt, dass Dirk B. der unangefochtene Meister der deutschen Lyrik ist, und eher ständig über ihn wettert. (Er hat genau ein Buch von ihm gelesen…)
„Mach doch was du willst, ich geh duschen und mich hübsch machen…“
„…Homofürstnichtskönnerbillignuttealdikunde…“
Wenige Minuten nachdem ich meine rituelle Waschung, also den Duschvorgang, begonnen habe kracht es nebenan ganz hässlich und die ganze Wohnung wackelt und scheppert. Ich binde mir ein Handtuch um und gehe ins Wohnzimmer um mich zu erkundigen, wer der Urheber dieses Krachs ist, und da steht Rabe, blöd grinsend, schaut in den Himmel und sagt „Ich hab's dir doch gesagt, deine Party fällt aus...“

Was haben wir gelacht, was haben wir gescherzt, Weltuntergang, was für ein Quatsch. Und so schauen wir aus dem Fenster und sehen in den roten Himmel, während im Haus gegenüber ein weiterer Brocken einschlägt und abgesehen von dem Gebäude auch ein paar Insassen zerfetzt.
„Das hast du ja mal wieder großartig hinbekommen, man…“
„Man tut was man kann, ich find's lustig“ sagst du grinsend, während noch ein Himmelskörper auf die Erde rauscht. „Guck ma, 'n Meteor, ich nenne ihn Alphakomet!“
„warum?“ frage ich, deutlich verwirrt.
„Weil er so schön zerscheppert ist!“ – Verstehe ich nicht, ich finde die Situation aber ohnehin zu brisant um mir über so was Gedanken zu machen.
„Ich hab so langsam das Gefühl, dass wir hier nicht mehr lebend rauskommen…“
„Wie kommst du nur darauf?“ sagst du, immer noch doof grinsend…
[…]

Und zu guter Letzt noch eine Erklärung:
Ein Tag wie jeder andere
Ein Tag an dem alles passieren kann
Der erste Tag vom Rest deines Lebens
Der letzte Tag vor Morgen
Und auch wenn nichts passiert
will ich nicht versäumt haben
DIR endlich einmal meine Meinung zu sagen:

Danke.





© Artwork by 'Liebeistverboten' (http://liebeistverboten.deviantart.com/)