Mittwoch, 28. September 2011

Der Brief

Was folgt, ist das Resultat des Aufrufes von Dirk Bernemann, welcher beinhaltete, dass ihm seine gewinngeilen Leser einen Text über das (frei interpretierbare) Thema 'Behinderung' schreiben dürfen. Die 5 besten Einsendungen erhielten freien Eintritt zur Lesetour, das Tourplakat und das Shirt zum neuen Buch "Trisomie so ich dir".

Dies ist meine Einsendung und einer der 5 Gewinnertexte.


Lieber Martin,

es tut uns weh, diese Worte zu schreiben, auch wenn du das nur schwer glauben kannst und guten Grund hast, uns zu hassen, doch ich möchte wenigstens versucht haben, unsere Entscheidung zu erklären…

Dein Vater und ich, wir hätten niemals Angst um dich haben müssen, wenn du leichtsinnig auf dem Spielplatz gewesen wärst, wenn du etwa auf einer Kletterburg am Geländer herumgeturnt hättest…

Wir hätten nie in die Schule fahren müssen, damit uns dein Lehrer darüber unterrichtet hätte, dass unser sehr lebhafter Sohn Mädchen am Zopf zieht, oder vielleicht sogar dieses ADHS hat, was heute jedes Kind automatisch bekommt, welches Spaß am Leben hat…

Unsere Wohnung hätte sich nie verändert, da alle Sachen heil geblieben wären, nie wäre etwas durch deine Unvorsichtigkeit zu Bruch gegangen…

Niemals hätten sich die Nachbarn über unseren Spross beschwert, sicher hättest du auch deinen Körper nicht durch verrückte Frisuren, Haarfarben oder Metallteile verunstaltet oder wärest schon als Teenager mal betrunken nach Hause gekommen, vielleicht sogar in Polizeibegleitung…

Nie hätten wir dich ermahnen müssen, mit den Mädchen zu warten, oder aufzupassen, was du mit ihnen tust, vielleicht hätten wir auch nie Gespräche über Liebeskummer mit dir führen können…

Wir hätten uns nicht vor Aufregung die Haare raufen müssen, weil unser Sohn in eine viele Kilometer entfernte Stadt fahren möchte, um sich dort mit einem Freund ein Fußballspiel, eine Videospiel-/ oder Buchmesse oder einen Freizeitpark anzusehen…

Deine kleine Schwester hätte nie zu uns kommen müssen, weil ihr großer Bruder sie mal wieder geärgert hat…

Ein Leben ist dazu da, es vollkommen nutzen zu können, das ist und war immer unsere Meinung.
So viel wäre dir entgangen, so oft wärest du traurig gewesen, dass du nicht bei Spielen, Feiern oder anderen Dingen hättest mitmachen können.

Sicher, nicht alle Freuden des Lebens wären dir entgangen, doch für immer eingeschränkt sein? Das wollten wir dir nicht antun. Es vergeht trotzdem kaum ein Tag, an dem wir nicht an dich denken, bitte Verzeih uns die Entscheidung, die wir trafen.

Als uns der Arzt sagte, unser Kind würde sich niemals richtig entwickeln, niemals das Sprechen oder gar laufen lernen und immer eine Begleitperson brauchen, niemals einen Sinn für Privatsphäre entwickeln könne, da entschieden wir nach tränenreichen Tagen, so ein Leben ist dein Leiden nicht wert…

Wir werden dich immer lieben, niemals die Freude vergessen, die wir hatten, als ich schwanger wurde. Bitte, nochmal, verzeih uns…

In Liebe

Mama, Papa, Martina…


3 Kommentare:

  1. Huhu!

    Sehr einfühlsam! Man könnte meinen, du hast so eine Entscheidung selbst schon mal getroffen. Vielleicht würden sich viele Eltern so entscheiden. Ich möchte vielleicht nur anfügen, dass wir auf Arbeit eine Person haben, die der im Brief beschriebenen nahe kommt und es macht uns (und so weit ich weiß auch seiner Familie) so viel Spaß, sein Leben so schön wie möglich zu gestalten. Es ist nicht immer leicht und man bekommt von ihm nicht immer viel Feedback, aber es sind die winzigen Sachen auf die man achten muss und man merkt, dass man ihm eine Freude gemacht und sein Leben wieder um etwas bereichert hat. Ist das nicht auch schon was wert? Ich liebe meine Arbeit so sehr! <3

    Danke für den Brief! Ich kenne die anderen Einsendungen nicht, aber ich denke du hast es dir verdient! :)

    Du weißt, wer ich bin. ^^

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  2. Freut mich riesig, dass es dir gefällt, gerade vor deiner Meinung hatte ich sogar etwas Angst!

    Du hast auf mit dem Gesagten definitiv Recht, ich hab' auch den größten Respekt vor dem was und vor der Leidenschaft mit der du es tust!

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  3. Hey,
    ich finde den Text an sich gar nicht schlecht. Ich finde auch, dass du eigentlich eine schöne Stimmung aufbaust. Aber: die machst du auch fortlaufend wieder kaputt durch deine Wortwahl. Nicht, dass die Wörter an sich blöd sind, aber unpassend teilweise. Es wirkt ein bisschen zu sehr wie 'ich brauch ein tolles Wort, das möglichst nicht umgangssprachlich wirkt'. Manchmal täte das dem Text aber ganz gut, finde ich. Weil, wie gesagt, die Stimmung so immerwieder 'zerstört' wird (auch wenn das jetzt einsehr hartes Wort ist).

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