Mittwoch, 13. April 2011

Der Sturm

Eiskalter Regen durchnässt mich. Ich habe gewusst, dass er kommt, schon lange. Vorbereitet war ich trotzdem nicht darauf. Da war kein Schirm, der mich hätte schützen können, kein Dach, um mich darunter zu verkriechen. Es ist als säße ich auf einer riesigen Wiese, bewegungsunfähig, paralysiert. Ununterbrochen und ohne Gnade stürzen Bäche auf mich herab. Ich weiß nicht, ob ich mich jemals hilfloser gefühlt habe als jetzt. Selbst wenn da jemand wäre, der mir schützend seinen Schirm über den Kopf halten würde, das Wasser würde ihn ignorieren und einfach hindurchtropfen. Also gebe ich auf, ich akzeptiere den Sturm nicht, aber ich weiß, dass ich ihn nicht aufhalten kann, nicht ich…

Ich verbringe Tage in diesem Regen, gewöhne mich daran. Aufstehen kann ich noch immer nicht, da ist immer noch das Gefühl absoluter Schwäche und Lebensunfähigkeit. Die Welt zieht an mir vorbei und es ist mir egal. Der Regen spült Wünsche, Träume und Ziele aus meinem Kopf, lässt sie verwischen und zu Ängsten werden. Erneut…

Ich beschließe aufzugeben, die Augen zu schließen und den Sturm zu akzeptieren, er kann mich mitnehmen, es hat keinen Zweck mehr auszuharren und auf Besserung zu hoffen…
Nur ein letzter Blick soll es noch sein, noch einmal tief Luft holen, ein letztes Mal…

Ich reiße meine feuchten Augen also noch ein letztes Mal auf, will genießen können, was ich sehe, auch wenn es ein trauriger Anblick ist. Doch etwas hindert mich, meine Augen zu schließen. Da ist etwas. Etwas Kleines. Etwas Rotes. Und als ob es sehen könnte, was in mir vorgeht, fliegt es auf mein Knie zu und setzt sich. Ich beobachte das Insekt, es krabbelt in Kreisen auf meinem Bein herum, so, als würde es meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit wollen. Als wollte es verhindern, dass ich die Augen schließe. Bis auf ein gelegentliches Zwinkern gelingt es ihm. Es läuft auf meinen Arm, dann auf meine Hand und ich halte die Hand nah an mein Gesicht, um es zu beobachten. Die Punkte auf seinen Flügeln scheinen mich anzugrinsen, das erste Grinsen seit langem. Langsam spannen sich meine Mundwinkel an und ich grinse vorsichtig zurück…

Um mich herum wird es plötzlich lauter, nicht unangenehm, aber deutlich merkbar. Als der Käfer mir über den Körper läuft, bemerke ich, dass ich trocken bin. Er hebt ab, und fliegt vor meinem Gesicht herum, dann über meinen Kopf, als solle ich hinauf sehen. Und wirklich, Sonnenstrahlen. Hat es nicht eben noch gestürmt?...

Der Käfer setzt sich wieder auf mein Knie, da scheint es ihm zu gefallen. Seine Beine kitzeln mich ganz leicht und ich rede mir ein, er will mir damit sagen, dass er sich wohl fühlt. Ich traue mich nicht so recht, den Käfer auch zu kitzeln, aber ich grinse ihn weiter an, sicher findet er das auch ganz gut…

Mir wird klar, dass er nicht ewig bleiben wird, dass er wieder davonfliegen und mich hoffentlich in guter Erinnerung behalten wird, so wie ich auch ihn nicht vergessen werde.
Der Käfer weiß, dass ich das weiß, und es macht ihn auch ein bisschen traurig, aber wir beide wissen, dass es passieren wird. Und wir akzeptieren es, genießen die Zeit, die wir haben und schöpfen den Moment vollkommen aus…

Er fliegt los, er muss, aber es ist okay. Was jetzt kommen wird ist unbekannt, ich sehe in die Richtung, in die der Käfer verschwand, möchte zu dem Baum, auf den er sich setzte, um sich noch einmal umzudrehen und mich anzulächeln, und als ich vor ihm stehe, stelle ich fest, dass ich wohl wieder aufstehen kann…


1 Kommentar:

  1. Guten Abend.

    Wir kennen uns nicht, und wenn, dann würden wir uns wahrscheinlich alles Andere als leiden können, aber ich möchte dir trotzdem für deine Gedankengänge danken. Diese haben mich selbst inspiriert und teilweise auch aufgefangen. Vielen Dank dafür. Deine Schreibweise beruhigt auf eine gewisse Art und Weise. Ich wünschte, du würdest öfter schreiben. Aber man soll ja auch nichts erzwingen :)
    Alles Gute.
    C.

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