Donnerstag, 22. Dezember 2011

Fest der Nächstenliebe

Dezember, Vorweihnachtszeit, und auch ich möchte Menschen beschenken, die es verdienen, deswegen befinde ich mich in diesem 3-Etagen-Kommerzgebäude und suche nach etwas Besonderem für jemand Besonderen.

Die Länge der Schlangen vor den Kassen der Geschäfte lassen jede Netzpython (Python reticulatus) vor Scham im Boden versinken, Weihnachten muss sich dieses Jahr vollkommen unerwartet und kurzfristig angemeldet haben. Da wird hier über zu wenig Kassiererinnen geschimpft und dort sieht man total frustrierte Gesichter, die am liebsten ihre Taschen fallen lassen wollen und bebend vor Wut das Geschäft im Sprint verlassen und später in die Luft jagen wollen würden. Machen sie aber nicht, man hat ja Kinder, denen man anerzogen hat, dass Weihnachten Geschenkezeit ist, ein bisschen wie Geburtstag, nur ohne dem Datum auf dem späteren Personalausweis.

Ich suche eine Weile nach etwas passendem, bei dem die beschenkte Person weiß, dass es nur von mir sein kann, ja, ich mag lieber durchdachte Geschenke als Schnickschnack, so was bleibt doch viel besser und vor allem schöner in Erinnerung. Plötzlich sticht da etwas in meine Augen, es ist perfekt, es ist brauchbar, es ist sogar ein bisschen witzig und vor allem passt es zu mir und zum Beschenkten, abgefahren. Muss ich haben. Muss ich verschenken. Großartig.

Ich befinde mich kurz darauf am Ende oder am Anfang der Schlange –Gott weiß, ob die Kassen nun am Kopf oder Schwanzende sind- , und wieder höre ich das Schimpfen und Echauffieren über das Warten, über den Weihnachtsstress, über einfach alles, und da bemerke ich, dass sich einige Muskeln in meinem Gesicht anspannen, ich grinse. Ich grinse sogar richtig breit, und als die übergewichtige Dame hinter mir nervös mit ihren zu kleinen Füßen herumwackelt, weil sie wohl auch nicht gerne wartet, da tritt sie mich aus Versehen leicht in an meinen Eigenen Füßen und ich drehe mich um. „Na, na, na!“ sage ich, immer noch breit strahlend und sie brummt ein „‘Tschuldigung“ daher, Humor liegt ihr ferner als Korea die Demokratie, aber das stört nicht, ich bin gut drauf, ich kann nicht mal genau sagen warum, vielleicht, weil ich Urlaub und vor allem viel Zeit für meinen Einkauf habe, vielleicht aber auch, weil ich wohl der Einzige in dieser Schlange bin, der nicht kauft, weil er glaubt es zu müssen, sondern weil ich einfach sehr glücklich bin, wenn ich der bald beschenkten Person eine Freude machen kann. Genau genommen freue ich mich schon jetzt wie ein kleines Kind, dass jemand sich über etwas von mir freuen wird.
Manchmal bin ich Gutmensch.

Nach ein paar Minuten erreiche ich die Kasse und sage der Dame hinterm Tresen, dass sie mir etwas leid tut, wegen dem ganzen Stress, den sie hat, weil sich andere welchen machen. Außerdem könne sie sich bei mir gerne etwas Zeit lassen, ich habe genug davon, sage ich noch. Sie grinst mich an, wirkt etwas froh darüber, so viel Vernunft von einem Weihnachtszeitkunden zu hören, der dazu auch noch so jung ist wie ich, wo doch die Jugend, die böse, schlimme Jugend, als so unvernünftig gilt.
Ich zahle anständig, selbstverständlich mit Karte, das verschafft der netten Dame noch ein paar wertvolle Ruhesekunden, wünsche dann schöne Feiertage und verabschiede mich, während ich ihr noch das wohl letzte Kundengrinsen des Tages schenke.

Auf dem Gang zwischen den Geschäften zur Linken und zur Rechten läuft ein Mann in Rot herum, er trägt eine Art Mantel, einen auffällig künstlichen Wattebart, einen schwarzen Gürtel, schwarze Stiefel, eine rote Zipfelmütze und vor allem einen ockerfarbenen Sack über der Schulter.
Der Mann visiert die schreienden Kinder an, die ihre Eltern durch die Geschäfte ziehen wollen und ihre armen Schutzbefohlenen mit Sätzen wie „Guck mal, guck mal Mutti, die Softgun, die wollte ich schon immer haben“ oder „Oh, Mutti, Mutti, da drüben, das BMX, das wollte ich schon haben, bevor ich die Softgun haben wollte“ malträtieren. „Möchtest du nicht viel lieber das tolle Feuerwehrauto haben, oder was Tolles von Lego?“ – „Mutti, ich bin 9!“.
Ich habe Kinder noch nie so wirklich gemocht.

Der Mann in Rot sucht sich aber auch noch viel jüngere Menschexemplare aus, die dann schreiend vor ihm wegrennen, meistens Richtung Vater, hinter welchem sie sich dann verstecken und böse auf den armen Kerl zeigen, der doch nur Gutes beabsichtigt.
„Hast du etwa Angst vor mir?“ fragt der Falschbärtige, worauf das Kind wild mit dem Kopf nickt. Damit ist der Punkt erreicht, an dem ich mich dazwischen entscheiden muss, ob ich die Undankbarkeit von Kindern jetzt zum Kotzen finde, da sie sich einen Dreck für den freundlichen Mann, ganz besonders aber für die Geschenke interessieren, die er ihnen angeblich bringt, oder ob ich das alles einfach schnell wieder aus meinem Kopf lösche und die Dummheit des Kindes auf seinen geringen Erfahrungsschatz und sein geringes Alter schiebe.
Letzteres, es ist ja Weihnachtszeit, und so...

Dieser Vorgang wiederholt sich noch ein paar Mal und Nikolaus, Knecht Ruprecht, Hans Muff, Schmutzli oder wie auch immer ihn der Volksmund gerade nennen möchte wirkt sichtlich enttäuscht von der allgemeinen kindlichen Angst und Undankbarkeit, der arme Kerl möchte doch nur das, was seinen Jutesack so schwer macht an die Bälger weitergeben und damit sein Kreuz entlasten.
„Wenn ich mal sterbe, dann hoffentlich als Held“ habe ich als Kind einmal gesagt, das hat sich meine Mutter über viele Jahre gemerkt und mir irgendwann einmal erzählt, und zu meinem Wort stand ich schon immer, also muss ich tun, was ein Mann wie ich tun muss. Ich gehe zu dem Kerl, dem böse Zungen anhängen, er verdanke seinem Outfit einem Softdrinkhersteller, und halte meine Hand zum high five bereit. „Grüß dich, Santa!“ und schon habe ich den Weihnachtsmann zum Lächeln gebracht. Irgendwie ironisch. Der Kerl ist mir derart dankbar, dass er selbst mir realitätsaufgeklärten Knaben eines seiner Geschenke übergibt, „Netter Kerl“ denke ich noch, während ich mich freundlich bedanke und dem Herrn einen schönen Urlaub nach den Feiertagen wünsche.

Als ich Zuhause ankomme packt mich dann die Neugier darüber, was sich wohl in dem kleinen Päckchen verbirgt. Die Verpackung ist für einen derartigen Massengeschenksack unerwartet aufwendig gestaltet, ordentlich gefaltet und schön verziert, ist mir vorhin, als ich das Geschenk bekam gar nicht aufgefallen. Eine Schande, dass ich diese Verpackung aufreißen muss, aber ein Mann muss tun, was… Und so weiter. Als ich diesen tragischen Akt des Altpapiererzeugens hinter mich gebracht habe finde ich darin eine Tafel Schokolade der einzigen Sorte, die ich mag, die mit den ganzen Nüssen, eine Blu-ray einer Staffel meiner Lieblingsserie und einem A5-Umschlag.
„Strange, äußerst strange“ denke ich, öffne aber den Umschlag, vielleicht finde ich darin Aufklärung.

„Vielen Dank für ein Lächeln und einen angenehmen Moment, hoffe dass ich mich angemessen revanchieren konnte, bis zum nächsten Mal - Santa“.


4 Kommentare:

  1. Irre~ Ziemlich genau SO kaufe ich auch jedes Jahr Geschenke in der Großstadt. Mit dem einzigen Unterschied, dass ich mich nicht wirklich um die Herren Nikoläuse schere, die haben sich den undankbaren Job schließlich selbst ausgesucht (in den meisten Fällen jedenfalls xD)

    Die Kinder gehen mir am Arsch vorbei. In unserer Gesellschaft wird das Kind im Allgemeinen eben so erzogen, dass es nur den Konsum sieht, und nicht die Dankbarkeit dahinter. Ich habe da als Kind leider auch keine Ausnahme gemacht, aber andererseits, wie "weit" denken schon Kinder?!

    Frohe Weihnachten, Katze. >>>

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  2. Nächstenliebe

    (Matthäus 5,38-41) Ihr habt gehört, dass gesagt ist: “Auge um Auge, Zahn um Zahn.” Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei.

    Wäre Jesus von Nazareth nur der moralisierende Wanderprediger gewesen, zu dem er in späteren Jahrhunderten von unbewussten Menschen gemacht wurde, wüssten wir heute nicht, dass es ihn jemals gegeben hat. Die wirkliche Bedeutung des obigen Zitates wird erkennbar, wenn wir es mit dem folgenden Zitat des bedeutendsten Ökonomen der Neuzeit vergleichen:

    “Man sagt es harmlos, wie man Selbstverständlichkeiten auszusprechen pflegt, dass der Besitz der Produktionsmittel dem Kapitalisten bei den Lohnverhandlungen den Arbeitern gegenüber unter allen Umständen ein Übergewicht verschaffen muss, dessen Ausdruck eben der Mehrwert oder Kapitalzins ist und immer sein wird. Man kann es sich einfach nicht vorstellen, dass das heute auf Seiten des Besitzes liegende Übergewicht einfach dadurch auf die Besitzlosen (Arbeiter) übergehen kann, dass man den Besitzenden neben jedes Haus, jede Fabrik noch ein Haus, noch eine Fabrik baut.”

    Silvio Gesell (Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld)

    Der Weisheit letzter Schluss: http://www.deweles.de

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  3. @juracid
    Das ist doch das Schöne am erwachsen sein, und später am alt sein: Man kann immer über das motzen, was man selbst einst nicht besser gemacht hat. Ich mag das Handeln & Verhalten von Kindern nicht, war aber selbst mal nicht anders als viele andere Kinder. Interessant wird es aber, wenn man irgendwann einsieht, dass man ein undankbarer Idiot war, und da startet manchmal schon die Wut auf sich selbst ;) (Ohje, daraus könnte man ja schon wieder was zaubern...)

    Frohe Weihnachten wünsch ich dir an dieser Stelle noch ;)

    @Stefan Wehmeier
    Öhm, danke! Glaube ich... ;)

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  4. Anti -Kinder geschreibe finde ich nicht sooo gut. Kinder müssen erstmal sozialisiert werden. Aber das gibt deinem Text die Echtheit, also ein bisschen okay ;)
    [...]
    "Als ich diesen tragischen Akt des Altpapiererzeugens hinter mich gebracht habe.."
    [...]

    die Stelle fand ich irgendwie am besten.


    Macht Spaß deine Texte zu lesen!

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