Samstag, 26. Mai 2012

Ein kleines bisschen Hass

Gibt es eigentlich Selbstmordcommunities? Und wenn ja: Ab wann genau ist man Teil davon?

Mein Leben nervt mich. Seit geraumer Zeit, wenn nicht sogar schon immer, fühle ich mich meinem Umfeld nicht zugehörig. Menschen stören mich, und im Gegensatz zum Gerücht, der Mensch sei ein Herdentier, fühle ich mich zwischen Menschenanhäufungen unwohl und beengt.

Damals, ich war Schüler der neunten Klasse, fragte die für den Ethikunterricht zuständige Pädagogin ihre Klasse, in der auch ich mich, selbstverständlich unwohl fühlend, befand, was nach unserer jugendlich frischen Meinung, wohl der Sinn des Lebens sei.

Die lächerlichsten Meinungen waren zu hören. So äußerte ein Mädchen, der Lebenssinn sei selbstverständlich das Gründen einer Familie und das Verwirklichen seiner Träume. Mir wurde übel.

Ein klügerer Kamerad sah die Sache immerhin realistisch und antwortete damit, dass aus rein logischer Sicht der Sinn des Lebens darin bestehe, seine Art zu erhalten, sich also fortzupflanzen. Dass sich noch während dieser Antwort das Kichern der Klasse bemerkbar machte, war eine Bestätigung für meine allgemeine Distanzhaltung.
Leider zeigte ich mich davon wohl etwas zu merklich genervt, was dazu führte, dass die Hobbypädagogin nun mich nach meiner Meinung fragte. Ich antwortete mit der Bitte, die Toilette aufsuchen zu dürfen.

Vor wenigen Tagen machte ich den Fehler, mich doch mal wieder aus meinem geschätzten Desolat zu entfernen, wenn auch nachts, und einfach meine Menschfeindlichkeit in einer stickigen Kellerkneipe –es gibt keinen deprimierenderen Ort, den man alleine aufsuchen könnte, mal abgesehen vom Kino, aber wer braucht schon Kino, wenn es Menschen gibt, die diese Filme in miesester zu meinem Wohnbereich passenden Qualität schon vor der Kinouraufführung ins Netz stellen?- bei einem kühlen Getränk zu genießen. Dummerweise bringt das unweigerlich die Gewissheit mit sich, unter Menschen zu sein. Ein Teufelskreis.

Ich habe es schon immer gehasst, wenn Menschen es als selbstverständlich ansehen, dass andere wissen, was sie meinen, wenn sie mit einem völlig interpretierbaren Begriff um sich werfen. So wundert sich der junge Mann neben mir lautstark darüber, dass seine freundliche Bitte nach einem Herrengedeck –„Mach ma‘ ‘n Herrengedeck, aber flott, bist ja nicht zum Spaß hier!“- mit einem Cocktail aus Bier und Sekt beantwortet wird. Ich erschrecke mich darüber, kurz gelächelt zu haben, das kam schon länger nicht mehr vor, weswegen ich schnell mit diesem Mist aufhöre und meine bewährte Skepsismiene aufsetze.

Hinter dem Tresen stand ein dicker Mann mit Kippe im Maul, ich hasse dicke Menschen, vor allem dicke Männer, und wenn diese dann auch noch mit dem i-Tüpfelchen Zigarette auftrumpfen, manifestiert sich mein Feindbild zu einer Säule der Verachtung. Vor dem Mastschwein lag die, nachdem die Seite-1-Hobbyhure ausgiebig inspiziert wurde, aufgefaltete Ausgabe einer BILD-Zeitung. Ich fragte mich, ob der Typ das absichtlich macht.
Wer stellt überhaupt fette, BILD-lesende Menschen ein? Wäre ich irgendwo Chef, meine erste Frage im Bewerbungsgespräch wäre: „Lesen Sie die BILD?“, die zweite in diesem Fall: „Warum sind sie so widerwertig fett?“, aber für eine Chefposition eigne ich mich ohnehin nicht, ich müsste einfach viel zu oft die gelangweilten und heruntergekommenen Gesichter meiner Angestellten sehen und mir Mühe geben, Arschloch genug zu sein, damit ich auch Chef bleibe. Das ist schließlich das Hauptkriterium für diesen Posten und Ausnahmen bestätigen die Regeln.
Meine Stimmung war schon wieder im Eimer, aber so richtig. Egal wo ich hingehe, ich ecke an, finde Dinge, die abstoßende Wirkungen auf mich haben, treffe auf Meinungen die entweder genauso gut von geistig behinderten Kleinkindern stammen könnten oder totales sich-aufgegeben-haben ausstrahlen.

Diese Welt macht es Menschen mit Gefühlen nicht leicht. Ich könnte es ja auch mal wieder mit Liebe versuchen, aber es ist nicht einfach, Menschen zu lieben, die sich von der medialen Beretta direkt ins Hirn schießen ließen und längere Beziehungen für Zeitverschwendung halten. Lieber mehr Sexualpartner haben, als ein Magazin der besagten Handfeuerwaffe Kugeln fasst, anstatt einmal den einen direkten Schuss ins Herz zu landen der etwas mehr Zeit braucht, aber dafür viel gezielter ist. Du liebst eine Hure genau so lange, wie du dein Gehirn unterdrücken kannst. Pretty Woman soll Frauen zeigen, dass sie sich verschwenden können und trotzdem irgendwann den Mr. Right zu finden, oder eben Mr. Big, aber bei diesem Beispiel sind es gleich 4 Huren. Später stopfen sich die armen Opfer, die darauf reingefallen sind, mit Schokolade voll, weil sie merken, dass sie ihr Sammelalbum an Geschlechtskrankheiten zwar komplettiert haben, aber keiner Interesse daran hat.

Man könnte mir Misanthropie vorwerfen, ich nenne es Erfahrungswerte.



Montag, 7. Mai 2012

Höllentrip - Kapitel 1 - Es ist noch nicht vorbei

„Um mich herum brannte die Luft, sengende Hitze,
Schwefelgeruch, brennende Blitze,
lodernde Flammen, ein ständiges Donnern und Dröhnen,
unendliches Jammern und stöhnen aus zahllosen Kehlen,
grässliche Schreie verlorener Seelen
die sich ewig lang in Unendlichkeit quälen,
ein Wimmern und Flehen erschütternde Szenen
und ich stand mit zitternden Knien mittendrin,
bis er erschien, Satan war da,
ab da war mir klar was geschah und ich sah
wo ich war als er lachte und sprach:
‚herzlich willkommen am Arsch.
Das hier wird ab jetzt für immer dein neues Zuhause sein,
doch wie jedem der hier landete, räum' ich auch dir eine letzte Chance ein,
lächerlich klein, denn bisher konnte es noch niemand schaffen,
mich in irgendwas zu schlagen, also wähle deine Waffen‘“

Die Fantastischen Vier – Michi Beck in hell



Und genau so war es, ich war tot. Zu meinem Bedauern, zog es der Heiland vor, mich doch lieber nicht auf seiner Gästeliste zu notieren, dieser Spießer. Wovor hatte er Angst? Etwa davor, dass ich seine Party mit seinen kleinen langweiligen Freunden sprenge? Soll er doch mit seinen öden Kumpels feiern, sicherlich eine denkwürdige Fete, so mit Gästen wie dem astreinen Entertainer Gandhi und dem Dauertagträumer Martin Luther King.

Während ich also meine Gedanken darauf zu lenken versuchte, nicht sauer zu sein, im Kreise der Cherubim vorerst nicht aufgenommen worden zu sein, vergaß ich völlig, wo ich mich eigentlich befand. Es war zwar nicht so heiß, wie es abergläubige Christen gern behaupten, doch angenehm war es trotzdem nicht. Überall war es finster, der Boden unter meinen Füßen war aus unebenem, sicher über die Jahrtausende plattgetretenem Felsgestein und überall hörte man das Wehklagen von gescheiterten Existenzen. Wie sollte ich hier nur in Ruhe schlafen können? Und ist man nach seinem Ableben überhaupt noch müde? Fragen über Fragen, doch zu einer Antwort sollte es vorerst nicht kommen, denn vor mir erschien, wie aus dem Nichts, und das beschrieb die Umgebung um mich herum sehr treffend, eine Pforte, die sich auch nicht lange bitten lies, sich zu öffnen. Und da stand er vor mir, ich schluckte deutlich vernehmbar.

Der Leibhaftige blickte mich überlegen an, genoss meine Unsicherheit und setzte sich ein widerliches Grinsen auf. Ich beschloss, mir diese Farce zu ersparen und machte ihn über die Lächerlichkeit seines Blickes und meinen Standpunkt klar, bevor er das Wort ergreifen konnte.
„Nee du, jetzt mal im Ernst, auf diesem Niveau fange ich gar nicht erst zu debattieren an. Ich meine was denkst du dir dabei? Von einem LKW überrollen lassen? Etwas Besseres fiel dir nicht ein? Oder ist es, weil ich Truckerfahrer so hasse? Ach komm, das ist wirklich lächerlich. Ich... Sag mal hörst du mir überhaupt zu?“
Gelassen, wie Gott ihn schuf -und das tat er, lies die Bibel!- schnipste Satan mit seinen Fingern und es erschien, ich glaubte meinen Augen kaum, ein kuscheliger Sessel hinter ihm und er setzte sich, stützte seinen Kopf auf seine Faust und lauschte gewissenhaft.

Ich kam mir idiotisch vor, und es erschien mir plötzlich sehr unklug, so voreilig und taktisch wertlos vorzupreschen. Es wäre wohl das Klügste, dem Beelzebuben sprechen zu lassen, was er, nachdem er merkte, dass ich vorerst resignieren würde, auch im ruhigsten aller Töne, der Typ war eine echt coole Sau, tat.

„Und du glaubst, du bist der Erste, dem es nicht passt, dass er nicht im Schlaf oder auf dem Himalaya gestorben ist, ja? Jungchen, jeder der hier herkommt, motzt erst einmal herum. Ich wäre auch nicht begeistert, wenn ich so sterben würde, klar, ich versteh euch Leute ja, aber wir sind hier leider nicht bei Wünsch-Dir-was. Übrigens liegt die Art deines Ablebens nicht in meiner Hand. Als ob ich nicht schon genug zu tun hätte, als mich hier um jeden verschiedenen Diktator zu kümmern.“

Für einen Moment tat mir der deutlich sichtbar gelangweilte Luzifer etwas leid, vielleicht war ich wirklich zu hart zu ihm? Ich versuchte ein paar aufmunternde Worte:
„Ich gebe zu, aus dieser Sicht habe ich das noch gar nicht betrachtet. Okay, tut mir leid, du kannst ja nichts für meine Unachtsamkeit. Sag mal, kann ich vielleicht auch eine Sitzgelegenheit bekommen, das Stehen ist hier auf Dauer nicht gerade ein Optimalzustand.“
Und ob ihr es glaubt oder nicht, Mephisto schnipste abermals, und da war er: Mein Lieblingsstuhl.
So übel war der Höllenfürst gar nicht, er wusste, wie man Menschen eine Freude macht.
„Hey, danke! Also, komm schon Pferdefuß, ich darf doch Pferdefuß sagen, oder? Naja, jedenfalls, ich verstehe dich, du musst hier unten, sind wir eigentlich ‚unten‘?, eine Menge Stress und jede Menge unangenehme Zeitgenossen haben. Sorry, dass ich dich so vollgepöbelt habe. Also, da ich glaube, dass ich eine ganze Weile hier sein werde, also was ich sagen will, wenn du jemandem zum Reden brauchst, dann nur zu.“

Mein Gesprächspartner zeigte sich beeindruckt, mit solcher Freundlichkeit wurde er wohl lang nicht mehr konfrontiert. Er verlor ein Tränchen und sprach, mit einem Seuftzer beginnend, zu mir:
„Das mit dem blöden Grinsen, man, das tut mir leid, aber die meisten, die hier ankommen, haben nun mal absolut keinen Respekt, und wenn man da nicht sofort zeigt, wer der Boss ist, ja dann machen die hier was sie wollen. Und dann diese ganzen besagten Diktatoren und Drogenopfersängerinnen mit beschissenen Frisuren, die meinen, selbst hier in der Hölle noch gegen Rehabilitationsmaßnahmen protestieren und vor allem singen zu müssen, die ganze Scheiße macht mich noch mal fertig.“

Ich bin kein Psychologe, habe mein Fachwissen noch aus meiner Bravo-Sammelzeit von 2001-2003 und bin auch sonst eher empathietechnisch unterentwickelt, aber eines machte sich hier deutlich bemerkbar: Satan war, und das ist heutzutage längst kein Einzelfall mehr, am Burnout-Syndrom erkrankt.

„Luzifer, lass alles raus, ich hör dir zu, wenn ich dir helfen kann, dann sag mir wie! Dafür sind Freunde doch da!“
Wir redeten eine Ewigkeit, ich hatte auch genug Zeit zur Verfügung, denn wie sich herausstellte, schläft man in der Hölle nicht. Hunger hat man auch keinen, geschweige denn Durst, das ist aber auch notwendig, denn die Speisekarte in der Hölle lässt an Delikatessen vermissen. El Diablo schien Gefallen an mir zu finden. Immer offener wurden seine Äußerungen, schon ewig muss er sein Leid mit sich herumgetragen haben. Er ging auf, wie ein Mädchen, das in Österreich 18 Jahre lang einen Keller bewohnte und schon bald kannte ich nicht nur all seine Probleme und Sorgen, sondern auch seinen kompletten Stammbaum und sein Poesiealbum aus der vierten Klasse. Sein Zeugnis wollte er mir aber nicht zeigen, er schämte sich zwecks seines Bemerkungstextes. Aber so neugierig war ich diesbezüglich auch gar nicht.

Als er fertig war, hob er seinen Kopf, blickte mich an und grinste, dieses Mal sympathisch zu mir.
„Weißt du, ich glaube du bist mir sympathisch. Ich erzähle das eigentlich niemandem, aber in den AGB der Hölle gibt es da einen Paragraph, der könnte dir helfen. Ich meine du hast mir geholfen, warum sollte ich dir nicht helfen. Es gibt da allerdings ein paar Bedingungen“
Ich hatte keine Ahnung, wovon Luzi sprach.

„Also es gibt da diese Regelung, dass Menschen, die irrtümlich hier gelandet sind, eine zweite Chance bekommen können. Du könntest also unter Umständen wieder hier rauskommen. Aber…“
Das Beelzebübchen hatte meine volle Aufmerksamkeit.
„Aber?“ fragte ich mit Nachdruck.
„So ohne Weiteres geht das leider nicht. Du musst mich schlagen, und zwar nicht ins Gesicht, das wäre zu primitiv, nein, der Paragraph besagt, dass du mich in einer von dir gewählten Disziplin schlagen musst.“

Scheiße. Seit ich denken kann, verbrachte ich meine Zeit in meiner abgedunkelten Behausung und weigerte mich diese ohne triftigen Grund zu verlassen. Egal, welche mir bekannte Disziplin ich vorgeschlagen hätte, ich wäre wohl in jeder beliebigen hoffnungslos unterlegen gewesen.
Jetzt hieß es nachdenken und gewissenhaft entscheiden.



© Artwork by 'Gustave Doré' (http://de.wikipedia.org/wiki/Gustave_Dor%C3%A9)