Sonntag, 5. Mai 2013

Pfoten

Sie standen allesamt lässig an eine Hauswand gelehnt und tranken Modegetränke, rauchten Zigaretten, die nicht schmeckten und unterhielten sich über Themen, von denen niemand von ihnen wirklich Ahnung hatte, nur um Zeit sterben zu lassen.

Der Typ in der Menschenmengenmitte verzichtete auf den Tabakkonsum, war durch den Mangel an Mundfüllung allerdings auch das lauteste Organ der Gruppe. Er war es auch, der zuletzt die streunende Katze bemerkte, welche von den restlichen Anwesenden unlängst als heranpirschend wahrgenommen wurde. Die anderen kannten das Tier bereits; Eine im weiten Umkreis als zahme aber verspielte, herrenlose Katze akzeptierte Streunerin. Somit war es für die anderen nicht ungewöhnlich, dass das Tier einige Meter vor ihnen Platz nahm und die Menge beobachtete und belauschte. Nur der lauteste, ständig schwatzende Nichtraucher nahm keine Notiz von dem, für eine freilebende Stadtkatze außerordentlich gepflegten und hübschen Tier.

Vielleicht war es Neid, aus Mangel an Aufmerksamkeit, vielleicht fühlte sich der Straßentiger aber auch einfach von der Lautstärke des jungen Mannes belästigt, die Reaktion blieb allerdings dieselbe.
Ihre Pupillen verengten sich zu schmalen Schlitzen, sie ging in Angriffsstellung und das laute Dauergebrabbel des Nichtrauchers wurde zu einem erschreckten Schrei.

Die Menge lachte, als die Katze ihre Krallen zunächst in sein Bein, dann heraufkletternd in seinen Bauch und zuletzt in seine Brust bohrte. Dreist schaute ihm das Tier einen Moment, fast grinsend, in die Augen, bis es schließlich von seinen Klamotten absprang und spürbar genießend, langsam und elegant verschwand.
„Mistvieh…“ grummelte er, seine Schmerzen hielten sich aber in Grenzen, eher war der plötzliche Schock der Grund für seinen Schrei.

Einige Tage später tat er, was er öfter tat; Mit einem Buch, selbstverständlich nur als Bildungsalibi vor eventuellen Zuschauern in der Hand, lehnte er sich im Park seiner Stadt liegend an einen Baum und ließ sich von der Sonne verstrahlen. Wie immer fielen ihm bald darauf die Augen zu und er schlief ein. Sein Weckton war der Knall eines Fußballes, der seinen Kopf nur knapp verfehlte und direkt über ihm den Baum traf und zurück zu ein paar rücksichtslosen Kindern prallte. Er hasste Kinder für genau diese Eigenschaft. Als der Schall ihn weckte, zuckte er erschrocken zusammen. Seine Beine fühlten sich schwerer als gewöhnlich an, er senkte seinen Blick, um Ursachenforschung zu betreiben und fand schnell heraus, was die Masse seines Unterkörpers erhöhte.

Von seinem Zucken gestört, blickte ihn die Katze mit einem leicht genervt anmutenden Gesichtsausdruck an, legte ihren Kopf wieder auf ihre und vor allem auf seine Beine und schloss wieder ihre Augen. Zunächst wollte er das Tier wegen seinem Erfahrungswert wegscheuchen, doch es hätte ihm das Herz zerrissen, hätte er eine so hübsche, plötzlich ausgesprochen zahme Katze (abermals) in ihrer Ruhe gestört.

Vorsichtig versuchte er, das Tier ein wenig zu Streicheln. Er war sich fast sicher, dass sie ihm gleich die Hand abreißen oder zumindest ein bisschen zerfetzen würde, doch die Verlockung war für ihn einfach zu groß, nicht zu wagen, durch das weiche Fell zu streichen.
Zu seiner Überraschung blieb seine Hand in einem Stück und die Katze ließ sich sein Kraulen genüsslich gefallen. Sie wälzte sich sehr bald schon, sehnsüchtig nach weiteren Streicheleinheiten in seinem Schoß. Es gefiel dem Tier sogar so sehr, dass sie ihn, als er in der Dämmerung nach Hause aufbrach, nicht mehr allein ließ. Auch die Haustür schweren Herzens und mitleidig vor der Nase der Katze zu schließen half nichts. Sie saß dort geduldig, und war sich ihrem Sieg bereits bewusst, früher oder später hereingebeten zu werden. Sie brauchte nicht jaulen oder betteln, ohnehin wäre das Tier dafür zu stolz gewesen. Das Tier schien zu wissen, dass seine Geduld und Hartnäckigkeit größer sei, als die des Hausbewohners.

Wenig später war seine Wohnung ihr neues Zuhause und es manifestierten sich Rituale, wie zum Beispiel der nachmittägliche Spaziergang zum Baum im Park, das Streicheln, das zusammen Schlafen und das von ihm, während er sie streichelt, heimgetragen werden.
Sie fühlte sich in ihrem neuen Heim sichtlich wohl, was auch an seinem mehr und mehr geschundenen und zerstörten Bett festzustellen war, an und in welchem sie sich am liebsten austobte.

Die Monate vergingen und die beiden wurden ein Paradebeispiel für die Koexistenz von Mensch und Tier.
An einem Tag wie jedem anderen, im Park, wurde er einmal mehrdurch Fremdeinwirkung aus seinem Schlaf gerissen. Diesmal war der Störenfried allerdings nicht menschlicher Natur. Ein Hund leckte ihn ab und bewies, dass der Knabe wohl eine natürliche Anziehungskraft auf herrenlose Tiere ausstrahlte. Die Katze war von dem Hund wenig begeistert und warf eine Tatze nach ihm. Der Hund aber kläffte sie nur überlegen an, stupste sie unsanft vom Schoß des jungen Mannes und strahlte ihn an.

Ob es ihr Stolz, oder ihre Enttäuschung war, ist nicht mehr zu sagen, aber die Katze wand sich von ihrem Freund ab und ging nunmehr wieder ihrer eigenen Wege.
Vielleicht hätte er dem Hund keine Beachtung schenken sollen, vielleicht hätte er ihr hinterherrennen sollen, doch er blieb, ließ sich von dem Hund ablenken und ablecken und bemerkte das Verschwinden der nun wieder streunenden Katze nicht.

Der Hund wurde nun, als klar wurde, dass die Katze nicht wiederkäme, der neue Freund des jungen Mannes. Auch mit ihm verstand er sich gut, auch wenn des Tier eigensinniger war, als es eine Katze jemals hätte sein können. Er stellte seinen Lebensstil von Katzenhalter auf Hundehalter um und verwöhnte das Tier, wo und wie er nur konnte, vielleicht auch, um für sein Gewissen etwas wiedergutzumachen.

Der Hund war nicht immer das dankbarste Tier, allerdings war sein Mitbewohner auch nie ein professioneller Hundebesitzer. Die beiden kamen zumeist gut miteinander zurecht und wieder vergingen viele Monate. Die Katze vergaß er jedoch nie und oft bedauerte er, sie einfach so gehen lassen zu haben, als es darauf ankam, denn so vertraut, wie er mit der Katze war, würde er mit dem Hund nie werden.

Als er eines Tages mit ihm durch die Stadt spazierte, ein wenig die Geschäfte nach nichts suchend abklapperte und den Blick beim Gehen durch die Straßen stets auf die Rillen der Straßenplatten richtete, rannten zwei Katzen über die Straße, direkt auf die nächste Gasse zu seiner Rechten zu.

Eine der beiden Katzen, ein schwarz-grauer Straßenkater, flitzte auch ohne Halt zu machen in den Schatten der Gasse. Die zweite Katze blieb allerdings plötzlich vor dem Hundebesitzer stehen. Er erkannte das Tier sofort. Die Katze schaute abwechselnd, man könnte fast meinen traurig, zu ihm, zum Kater und zu dem Hund. Der Hund aber nahm überlegen keine Notiz von der Katze, doch der Mensch mit der Leine in der Hand wusste, was zu tun war.




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